Infrastruktur
9 Min
6. DEZEMBER 2024

Warum eine Gleisanschluss-Charta?


Die Zahl der Gleisanschlüsse ist in den vergangenen Jahrzehnten stark zurückgegangen. In vielen Regionen mangelt es an multimodalen Verladestellen. Viele der vorhandenen Zugangsstellen zur Schiene sind unzureichend an das Fernverkehrsnetz angebunden. Das alles ist nicht förderlich für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für den Klimaschutz, denn viele Regionen müssen mangels Zugangsstellen zur Schiene weitestgehend mit dem Lkw versorgt werden.

Ein Autorenbeitrag von Georg Lennarz,
VDV-Fachbereichsleiter Marktfragen Güterverkehr.


Neben besseren Rahmenbedingungen für den Bau, Erhalt und Betrieb von Gleisanschlüssen und multimodalen Verladestellen verfolgt die Charta ein zentrales Ziel: Die Wirtschaft bedarfsgerecht mit Zugangsstellen und vorgelagerter Infrastruktur auszustatten. Dafür wird eine entsprechende Infrastruktur in den Regionen entlang und abseits der europäischen Güterverkehrskorridore benötigt. Da die konkrete Nachfrage in den Regionen entsteht, sollten die Regionen bei Planung und Finanzierung notwendiger Maßnahmen eine deutlich stärkere Rolle einnehmen können als bisher. Darüber hinaus sind multimodale Knoten wie zum Beispiel See- und Binnenhäfen, Güterverkehrszentren, Industrieparks und große Gewerbe- beziehungsweise Industriegebiete als zentrale Bündelungspunkte der Schiene zu stärken. Die Wirtschaft benötigt attraktive Transportketten von der Quelle bis zum Ziel. Diese dürfen nicht durch überwindbare Engpässe in der Eisenbahninfrastruktur behindert werden. Benchmark ist der Lkw, der überall Zugang zum gesamten Straßennetz hat. In vielen Regionen – entlang und abseits der Verkehrskorridore – wurden in den vergangenen Jahrzehnten massiv Gleisanschlüsse, multimodale Verladestellen und öffentliche Eisenbahninfrastrukturen wie Bahnhofs- und Industriestammgleise aufgegeben und sogar zurückgebaut. Dort, wo es an Infrastruktur fehlt, ist das Verkehrsangebot auf der Schiene entweder gar nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt vorhanden. Man kann in vielen Regionen von einer Unterversorgung mit Schienengüterverkehr sprechen.

Viele Standorte von Industrie, Handel und Logistik befinden sich heute nicht mehr in der Nähe von Bahnknoten, sondern verstärkt entlang der Autobahnen und in den Randbereichen der Ballungsgebiete. Um die Quellen/Ziele von Güterverkehren zu bedienen, bedarf es entweder langer Lkw-Distanzen zu den KV-Terminals oder eben Gleisanschlüssen und multimodaler Verladestellen in den Regionen selbst. Aufgrund der Standortentwicklungen stellt sich die Frage, ob Deutschland eine angemessene Strategie für die bedarfsgerechte Versorgung der Wirtschaft mit Gleisanschlüssen, multimodalen Verladestellen und vorgelagerten öffentlichen Eisenbahninfrastrukturen hat. Häufig folgt die Eisenbahninfrastruktur nicht den Entwicklungen im Güterverkehr, sondern wird auf den Mobilitätsbedarf der Bevölkerung im Nah- und Fernverkehr ausgerichtet.


Portrait Georg Lennarz

Die Wirtschaft benötigt attraktive Transportketten von der Quelle bis zum Ziel. Diese dürfen nicht durch überwindbare Engpässe in der Eisenbahninfrastruktur behindert werden.


Georg Lennarz

Fachbereichsleiter Marktfragen Güterverkehr des VDV

Einflussmöglichkeiten der Regionen stärken

Damit engagierte Regionen eine bedarfsgerechte Infrastrukturausstattung für den Schienengüterverkehr erhalten können, empfiehlt die Charta, regionale Infrastrukturkonzepte zu verwirklichen, in denen Kommunen, regionale Planungsverbände, Bundesländer, Bund, Infrastrukturbetreiber und verladende Wirtschaft bei Bedarfsermittlung, Planung und Finanzierung geeigneter Infrastrukturmaßnahmen Hand in Hand zusammenarbeiten. Regionale Infrastrukturkonzepte sollten auf Freiwilligkeit der Kommunen aufbauen, Elemente verbindlicher Verlagerungsabsichten der regionalen Wirtschaft beinhalten und Gebiete innerhalb und außerhalb der Ballungszentren sowie ländliche Regionen einbeziehen. Kommunen oder regionale Wirtschaft, die keinen Bedarf für den Ausbau des Schienengüterverkehrs in ihrer Region sehen, müssen sich an einem solchen Konzept nicht beteiligen. Die Charta regt an, den Einfluss der Regionen auf die Dimensionierung regionaler Eisenbahninfrastrukturen, die der Erschließung der ersten beziehungsweise letzten Meile inklusive der Kundenstandorte dienen, zu stärken. Damit ist nicht zwangsläufig verbunden, den Betreiber einer regionalen Infrastruktur zu verändern. Vielmehr bedarf es einer funktionalen und integrierten Betrachtung von regionalen Infrastrukturen inklusive (Standort-)Planung und Finanzierung. Im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) verfügen die Regionen und Bundesländer bereits über entsprechende Instrumente. Vergleichbares könnte zudem für den Schienengüterverkehr eingeführt werden. Sicher ist zu definieren, was mit Regionen im Einzelfall gemeint sein könnte. Hier sieht die Charta vorrangig Kommunen, regionale Planungsverbände, Bezirksregierungen und IHK-Kammerbezirke. Des Weiteren können multimodale Knoten wie See- und Binnenhäfen, Güterverkehrszentren oder größere Industrie- und Logistikstandorte gleichermaßen Bedarfsträger sein.

Mehr Infos zur Gleisanschluss-Charta:

www.gleisanschluss-charta.de

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