Herr Scherf, im Landkreis Miltenberg gibt es namhafte Unternehmen mit großem Transportpotenzial. Wie werden die Güter in aller Regel in und aus ihrem Landkreis transportiert und welche Rolle spielt die Schiene?
Jens Marco Scherf: Im Landkreis Miltenberg werden aktuell jährlich etwa 165.000 Tonnen Güter über die Schiene transportiert. Das entspricht nur gut zwei Prozent Anteil am gesamten Güterverkehr, ist aber dennoch beachtlich, da neben dem ICO (Industrie Center Obernburg) mit mehreren Gütergleisen, die Rangieren und Zugbildung ermöglichen, dies Ausdruck des Willens unserer Unternehmen ist. Im südlichen Teil des Landkreises setzen sowohl „Erbacher the food family“ (Tierfuttermarke Josera) in Kleinheubach als auch die Papierfabrik Fripa in Miltenberg auf die Schiene, obwohl sie in der Vergangenheit von der „großen DB“ abgehängt worden sind. Dieser Wille zur Bahn gerade von familiengeführten erfolgreichen Unternehmen beeindruckt mich und sollte für den Staat Verpflichtung sein, die Rahmenbedingungen für mehr Güterverkehr auf der Schiene zu verbessern. Gerade wegen der industriellen Prägung des Landkreises Miltenberg war es ein wichtiger Schritt, dass der Freistaat Bayern unsere Machbarkeitsstudie finanziell gefördert hat.
Das Potenzial für den Schienengüterverkehr hat der Landkreis 2022 in einer Machbarkeitsstudie nachgewiesen. Wo stehen Sie heute? Welche Hemmnisse gibt es noch und welche Maßnahmen konnten schon angegangen werden?
Es wäre gut möglich, die Gütermenge zu vervierfachen, indem etwa 20.000 Lkw-Fahrten auf die Schiene verlagert werden könnten. Das große Hemmnis ist die bestehende Infrastruktur mit einer eingleisigen, nicht elektrifizierten Bahnstrecke von Aschaffenburg übxer Miltenberg nach Osten Richtung Wertheim und nach Süden Richtung Amorbach. Konkret wurde erreicht, dass vom Freistaat Bayern im Frühjahr 2023 unser „Nadelöhr“, die Hauptbahn von Aschaffenburg nach Miltenberg, beim Bund zur Elektrifizierung und zum partiell zweigleisigen Ausbau angemeldet wurde. Im November gab es die Vereinbarung zwischen Freistaat Bayern und der DB zur Umsetzung der Vorplanung. Parallel dazu arbeitet unser Infrastrukturbetreiber Westfrankenbahn unter anderem mit der Modernisierung der Stellwerke an den Voraussetzungen, dass neben mehr Personenverkehr auch mehr Güterverkehr möglich sein wird.
Im öffentlichen Personenverkehr haben die Bundesländer und Kommunen mithilfe des Bundes viele Gestaltungsmöglichkeiten. Wären die Instrumente für den Personenverkehr auch für den Schienengüterverkehr interessant, um beispielsweise größeren Einfluss auf Investitionen in Zugangsstellen und vorgelagerte Infrastruktur zu erhalten?
Die strikte Trennung zwischen Personen- und Güterverkehr sehe ich gerade für notwendige Investitionen in die Infrastruktur als sehr problematisch an. Aufgrund unterschiedlicher Töpfe kann es passieren, dass Investitionen einseitig auf die Bedürfnisse des Personenverkehrs ausgerichtet werden und der Güterverkehr langfristig in die Röhre sieht. In unserem Fall setze ich darauf, dass es durch die konsequente Einbindung des Landkreises Miltenberg in den Planungsprozess durch den Freistaat Bayern möglich ist, auch die Interessen des Güterverkehrs zu berücksichtigen. So ist es uns ein Anliegen, dass sich beim neu zu schaffenden Begegnungshalt in Sulzbach am Main nicht nur Personenzüge, sondern unbedingt auch Güterzüge begegnen können.
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