Politik
9 Min
24. MÄRZ 2025

Mit einem Lächeln ohne Auto mobil

Leben im ländlichen Raum – ohne abgehängt zu sein: In der alternden Gesellschaft wird dies mehr und mehr zu einer Herausforderung. Das betrifft auch den ÖPNV, denn vielerorts ist das Mobilitätsangebot eher lückenhaft. Politik und Verkehrsunternehmen sind dabei, den öffentlichen Nahverkehr in den dünn besiedelten Regionen neu zu erfinden und attraktiv zu machen. Der VDV hat dafür ein Programm mit Ideen und Forderungen entwickelt.

Rund um die Uhr mobil ohne eigenes Auto: Das ist das Ziel des modernen ÖPNV nicht nur in der Stadt, sondern mehr und mehr auch auf dem Land. „Wir bringen die Region ins Rollen“, heißt es beispielsweise hoch in Deutschlands Norden. „Smile 24“ ist der Name eines mit Bundesmitteln geförderten Modellversuchs, den der Nahverkehrsverbund Schleswig-Holstein (NAH.SH) gemeinsam mit den Kreisen Schleswig-Flensburg und Rendsburg-Eckernförde organisiert. Hinter dem Lächeln verheißenden Titel verbirgt sich die Abkürzung des Programmtitels: „Schlei-Mobilität: innovativ, ländlich, emissionsfrei und 24/7“. Beiderseits des schmalen Ostseearms von der holsteinischen Küste bis zur Stadt Schleswig – im Süden bis Eckernförde und im Norden nach Kappeln – ist ein vielseitiges Nahverkehrs-
angebot entstanden: für alle, die nicht Auto fahren können oder nicht Auto fahren wollen.

„Von wegen auf dem Land fährt nur einmal am Tag ein Bus!“
So widerspricht der das Projekt beschreibende Folder einer gängigen öffentlichen Meinung. Expressbus-Linien, PlusBus, Shuttle „on demand“ für die Kurzstrecke, Bike- und Carsharing sind ganzheitlich zu einem ÖPNV-System zusammengefügt, das kaum noch Mobilitätsbedürfnisse offen lässt. Die Expressbusse verbinden die größeren Städte tagsüber im Halb-Stunden-Takt, PlusBus-Angebote verkehren ebenfalls täglich vom frühen Morgen bis zum späten Abend und stellen mit guten Anschlüssen die Verbindung zum Schienennahverkehr her. Wer abseits der Linien wohnt, hat die Möglichkeit, sich per App den Shuttle für seine Anfahrt zu bestellen. Alle diese Leistungen gibt es zum üblichen Preis des Verbundtickets. Fahrräder können an
50 Stationen gemietet werden, kleine Elektroautos stehen an einem Dutzend Verleihstationen im gesamten Smile-­Gebiet zur Verfügung.

Im äußersten Nordosten Nordrhein-Westfalens, im Dreiländereck zu Hessen und Niedersachsen, liegt das Bediengebiet eines On-Demand-Angebots, dessen Name sich an einen wendigen Kleinvogel anlehnt. Nach dreijähriger Test- und Förderphase hat der „Holibri“ des Nahverkehrsverbunds Paderborn/Höxter (nph) den Schritt in den Regelbetrieb geschafft. Seit Ende 2021 gehören die grünlich schillernden Shuttles zum Stadtbild von Höxter. Als bedarfsorientiertes Angebot haben sie die früheren Stadtbus-Linien abgelöst. Mit mehr Flexibilität und ohne feste Strecken: Stattdessen sorgen über 1.200 Haltepunkte dafür, dass es die Fahrgäste nie weiter als 200 Meter zu ihrem Bus haben. Nutzen können sie den „Holibri“ zum regulären ÖPNV-Tarif und ohne Aufschläge. „Die Menschen wissen den Komfort und die Flexibilität unseres neuen Angebots, das gerade für den ländlichen Raum eine sehr gute Alternative darstellt, sehr zu schätzen“, berichtet nph-Geschäftsführer Marcus Klugmann: „Die Rückmeldungen aus der Bevölkerung sind durchweg positiv, die Menschen in Höxter wollen ihren ,Holibri‘ nicht mehr missen. Das sieht auch der Stadtrat so und hat ausreichend Mittel für die Weiterführung nach der dreijährigen Pilotphase bereitgestellt.“ Nach und nach hat der „Holibri“ sein Verbreitungsgebiet über die Grenzen der Weserstadt hinaus ausgedehnt – zunächst in die Kleinstadt Willebadessen im Kreis Höxter, anschließend in den Nachbarkreis Paderborn nach Lichtenau und Hövelhof. Seit Anfang dieses Jahres steuert der jüngste Ableger der „Holibri“-Familie unter anderem ein Industriegebiet in Hövelhof an. Unter dem Projektnamen „Ways2Work“ können die Fahrgäste mit einer neu geschaffenen Regionalbuslinie und dem bereits etablierten On-Demand-Angebot auch zur Arbeit kommen. Anders als der Ur-„Holibri“ in Höxter verkehren zwei der jüngeren Shuttles zu bestimmten Zeiten und, wenn mehr als eine Person mitfährt, auf festen Linienwegen – jedoch ebenfalls nur nach Bedarf. In den Kreisen Höxter und Paderborn haben 220.000 Fahrgäste das Angebot in den vergangenen drei Jahren genutzt, 90.000 allein 2024. Davon hatten 41 Prozent das Deutschland-Ticket. Für Höxter und Lichtenau gibt es eine App zur komfortablen digitalen Buchung, die von mehr als 80 Prozent der Fahrgäste genutzt wird. Parallel stehen Telefon und Internet in allen „Holibri“-Systemen zur Verfügung.

60-Minuten-Takt Plus On-Demand-Angebot: So wäre es ideal

In einer Broschüre arbeitet der VDV zu sechs Themen die Lösungen für den ÖPNV im ländlichen Raum heraus. Dazu zählen die Stärkung der ÖPNV-Kultur: Bei Entscheidungsträgern wie Landrätinnen und Landräten sowie Abgeordneten sollte durch Aktionen das Bewusstsein für die Bedeutung des ÖPNV gestärkt werden. Als Leistungsangebot ist ein flächendeckender 60-Minuten-Takt kombiniert mit On-Demand-Angeboten notwendig. Digitalisierung: Der lückenlose Ausbau von schnellem Internet und WLAN muss gewährleistet werden. Die Antriebswende erfordert langfristige Fördermittel für die Infrastruktur und Modernisierung der Flotten. Eine langfristige und verlässliche Finanzierung des Deutschland-Tickets, zusätzliche Mittel für den Ausbau des ländlichen ÖPNV-Angebots und eine faire Einnahmeverteilung, die den ländlichen Regionen Rechnung tragen, sind unabdingbar. Personal und Bildung: Die Reform des Busführerscheins muss die Anforderungen des ÖPNV berücksichtigen.

www.vdv.de/positionen

Rufbusse on demand, Express- und PlusBus sowie Mobilitätshubs sind landauf, landab die Chancen für einen gleichermaßen intelligenten und attraktiven ÖPNV außerhalb der Ballungsräume. Linien mit dem X wie Expressbus oder SB wie Schnellbus vor der Nummer gibt es teilweise schon seit Jahrzehnten, verstärkt aber in den letzten Jahren. Vorbild ist der schnelle Schienennahverkehr, der aber naturgemäß nur überall dorthin kommt, wo betriebsfähige Gleise liegen. „Der Schnellbus gibt uns die Möglichkeit, die meist hervorragend ausgebaute Straßeninfrastruktur für moderne und bessere Dienste zu nutzen, nicht zuletzt auch im Zusammenspiel von Schiene und Straße“, sagt Werner Overkamp, Chef der STOAG Stadtwerke Oberhausen und VDV-Vizepräsident für den Bereich Bus. Ziel sei es, mit solchen Busangeboten näher an die Fahrtdauer des Individualverkehrs heranzukommen. Faustregel: Der Bus sollte das Ziel in höchstens der anderthalbfachen Zeit des Autos erreichen.

Portrait Marie-Theres Wölki

"Die Verkehrspolitik legt wenig Wert auf echte Klimaneutralität, denn trotz hoher Investitionen in moderne Elektrobusse bleibt das grundlegende Konzept unverändert."


Marie-Theres Wölki

Geschäftsführerin VDV Südwest und
Fachbereichsleiterin Ländlicher Raum

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Holt ab, bringt hin: Der „Holibri“ des nph – ­hier ein Fahrzeug am Bahnhof Höxter ­Rathaus – hat sein Verbreitungsgebiet in Ostwestfalen-Lippe nach und nach ausgeweitet.


Straße und Schiene verknüpfen

Das Zusammenspiel von Schiene und Straße zu nutzen, ist auch die Strategie des PlusBus. Vor gut einem Jahrzehnt wurde er zunächst in den ostdeutschen Bundesländern entwickelt. Mittlerweile ist das Markenzeichen dieses ÖPNV-Produkts verstärkt auch in westlichen Regionen zu sehen, neben Schleswig-Holstein beispielsweise auch im Saarland. Hier geht es ebenfalls um eine hohe Verfügbarkeit mit Fahrten im Stundentakt montags bis freitags vom frühen Morgen bis zum späten Abend und regelmäßigen Fahrten auch an den Wochenenden. Ähnlich wie der Schnellbus fährt der PlusBus nicht jeden Winkel in der Region an, sondern ist zügig mit wenigen Halten unterwegs und wird dann in den größeren Orten mit der Bahn oder auch mit Ortsbus­linien verknüpft.

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Solche Verknüpfungspunkte werden mehr und mehr zu Mobilitätshubs, auch Mobilitätsstationen genannt. Sie bündeln die Angebote des öffentlichen Verkehrs und des Umweltverbundes von Fußgängern und Radfahrern zu einem vielseitigen Angebot, das insbesondere ein nahtloses Umsteigen von einem Verkehrsmittel zum anderen möglich macht. Das Modell „Smile 24“ an der Schlei zeigt, wie so etwas aussehen kann. Integriert werden können Sharing-Angebote vom Auto bis zum Bike ebenso wie reservierte Parkplätze für Pkw und Rad. Ursprünglich als Idee für Großstädte und Ballungsräume entwickelt, zeigt sich deutschlandweit, dass solche Zentren in kleinerer Ausführung auch im ländlichen Raum ein sinnvolles Miteinander von Bus und Bahn mit der ÖPNV-Kundschaft versprechen – und so Alternativen zum Auto darstellen. Ein Beispiel ist der Bahnhof Meschede im nördlichen Sauerland: Bahnhof und Bushaltestellen sind zu einer kleinen Mobilitätsstation vereint, ergänzt um einen P&R-Parkplatz und eine Elektro-Carsharing-Station mit Rabatten für Abo-Stammkunden. Ein besonderer Blickfang ist ein ungewöhnliches Fahrrad-Parkhaus: ein ausrangierter Bahnbus mit 14 Abstellmöglichkeiten, die allerdings derzeit alle an Abonnenten vergeben sind.

Öffentliche Mobilität als Daseinsvorsorge:
Wer auf den ÖPNV angewiesen ist

Für viele Menschen ist der öffentliche Verkehr nicht nur eine Alternative zum Auto, sondern die einzige Möglichkeit, mobil zu sein. Insbesondere Kinder und Jugendliche ohne Führerschein sowie ältere oder körperlich eingeschränkte Menschen sind darauf angewiesen, um Schule, Arbeit, Arztpraxis oder soziale Kontakte zu erreichen. Auch finanziell Benachteiligte oder Stadtbewohner ohne eigenes Auto sind auf ein verlässliches und bezahlbares Angebot angewiesen. Zudem setzen viele Menschen aus Umweltgründen bewusst auf nachhaltige Mobilität. Ein gut ausgebauter, barrierefreier und finanzierbarer ÖPNV ist daher unverzichtbar - nicht nur für die Verkehrswende, sondern auch für soziale Teilhabe und wirtschaftliche Entwicklung.

Das Bewusstsein für den Bus stärken

Seit Jahrzehnten gibt es in Deutschland Rufbusse – kleinere Fahrzeuge zum Bedienen von Linien in dünn besiedelten Regionen: Der Fahrgast bestellte seine Fahrt per Telefonanruf. Daraus sind bekanntlich mittlerweile „On Demand“-Verkehre geworden: Der Ruf nach dem Bus geht über die App (oder teilweise auch per Telefon), der Rechner in der Leitzentrale bringt mehrere Fahrtwünsche zusammen. Neben Shuttlediensten auf dem Lande entdecken immer mehr Verkehrsunternehmen solche Lösungen als Chance, Zubringerdienste zu den Liniennetzen aufzubauen. Zudem könnte sich die zunehmende Digitalisierung als Chance entwickeln: Wenn es gelingt, autonome Fahrzeuge ohne Fahrer einzusetzen, kann das ein weiterer Schritt zu mehr Mobilität im ländlichen ÖPNV sein, weil Personal- und Kostenprobleme reduziert würden.

Zunächst komme es jedoch darauf an, das Bewusstsein für den ÖPNV zu stärken, sagt Marie-Theres Wölki, Geschäftsführerin des VDV Südwest und Fachbereichs-
leiterin Ländlicher Raum. „Viele Leute sind komplett auf das Auto fixiert, und man muss ihnen erst zeigen, dass der öffentliche Nahverkehr vielerorts besser ist als sein Ruf.“ Das Potenzial für Busse und Bahnen sei enorm, denn nahezu jeder zweite Bundesbürger lebe auf dem Land. Doch für eine flächendeckende Versorgung mit Mobilitätsdienstleistungen, um gleichwertige Lebensverhältnisse gegenüber den Stadtmenschen herzustellen, spiele der ÖPNV bislang nur eine untergeordnete Rolle. Längst nicht überall besteht in Kommunen und Kreisen der Wunsch, dies zu ändern. Marie-Theres Wölki: „Alle sind motorisiert. Die Verkehrspolitik legt wenig Wert auf echte Klimaneutralität, denn trotz hoher Investitionen in moderne Elektrobusse bleibt das grundlegende Konzept unverändert.“

Mit regionalen Akteuren ins Gespräch gehen

Dabei kann der Bus mehr als Linienverkehr. Er sollte im öffentlichen Leben vielseitig präsent und nützlich sein. Über seine fahrplanmäßig bedienten Strecken hinaus zum Beispiel auch als Shuttle zum Theaterbesuch in die nächste Stadt, als Verbindung zum Supermarkt, als Wanderbus mit Fahrradtransport in den Ferien­regionen – auch als rollende Arztpraxis oder Kaufmanns­laden. Zur Stärkung des Bewusstseins für den Bus zählt die Unterstützung bei der Frage, wie man dieses Verkehrsmittel benutzt. So helfen Mobilitätstrainings der Verkehrs­betriebe alten Menschen beim Umsteigen vom Auto auf den Bus, ebenso wie sie Kita- und Schulkindern die ­sichere Nutzung des ÖPNV beibringen.

Die Verkehrsbranche müsse daher den Dialog mit vielen Akteuren auf lokaler und regionaler Ebene suchen, nicht nur bei Entscheiderinnen und Entscheidern in der Politik, sondern auch im gesellschaftlichen Umfeld beispielsweise in Vereinen und Organisationen oder auch den Kirchengemeinden, betont Marie-Theres Wölki. Da gibt es durchaus positive Rückmeldungen. So setzt sich die Bremische Evangelische Kirche auf ihrer Website ausdrücklich für die umweltfreundliche Mobilität mit ÖPNV oder Fahrrad ein, „denn der Erhalt der Schöpfung liegt uns am Herzen“. Und die Pfarrei Mariä Himmelfahrt in Landau empfiehlt konkret mit Fahrplanangaben, zum Sonntagsgottesdienst mit dem Bus zu kommen.

ÖPNV-Tagung dreht sich um Potenziale und neue Wege

Dem ÖPNV abseits der Großstädte und Metropolregionen widmet der VDV eine eigene zweitägige Veranstaltung. „ÖPNV im ländlichen Raum – Potenziale, Erkenntnisse und neue Wege“ lautet der Titel einer Tagung, die am 15. und 16. Mai 2025 in Hannover stattfindet. Im Mittelpunkt stehen zukunftsweisende Ansätze – zum Beispiel innovative On-Demand-Verkehre sowie geteilte Mobilitätsangebote auf der Straße und der Schiene. Ziel ist es, einen umfassenden Blick über aktuelle Entwicklungen, Herausforderungen und Potenziale der öffentlichen Mobilität im ländlichen Raum zu geben.

Anmeldungen unter:
https://www.vdv-akademie.de/tagungen/oepnv-im-laendlichen-raum/

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