Herr Wortmann, in den Zukunftsperspektiven der Branche spielt das Deutschland-Ticket eine entscheidende Rolle. Ist das angesichts der leeren öffentlichen Kassen überhaupt realistisch?
» Ingo Wortmann: In der Tat stellt das Regionalisierungsgesetz (RegG) immer noch keine hinreichende Grundlage für eine dauerhafte Finanzierung des Deutschland-Tickets dar. Mangels einer Langfristperspektive fehlen Beschlüsse zur Einnahmenaufteilung, zur Schaffung von neuen Entscheidungsstrukturen oder auch zum Aufbau einer zentralen digitalen Vertriebsplattform, die jährlich Effizienzgewinne in Millionenhöhe verspräche. Der VDV schlägt vor, dem Deutschland-Ticket und seiner Finanzierung eine Langfristperspektive von mindestens zehn Jahren zu geben. Dazu brauchen wir aber auch die Zusage des Bundes, seinen Finanzierungsbeitrag in Höhe von 1,5 Milliarden Euro jährlich bedarfsgerecht zu dynamisieren.
Die Perspektiven für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs sehen kaum vorstellbare Milliardeninvestitionen vor. Kann unsere Gesellschaft das überhaupt stemmen?
» In den gegenwärtigen Diskussionen um die Haushaltsprobleme der öffentlichen Hand taucht immer wieder der Gedanke auf, das hohe und weithin ungenutzte Privatvermögen der Deutschen und auch ausländischer Investoren für Projekte zu aktivieren, von denen letztlich alle etwas haben. Wir schaffen ja klimaneutrale Mobilität! Überlegt wird auch schon mal, die Wirtschaft in Finanzierungsmodelle einzubinden, denn ein leistungsfähiges öffentliches Verkehrssystem stellt einen nicht unwichtigen Standortvorteil dar. Nicht übersehen sollte man auch: Auskömmliche Investitionen in Busse, Bahnen und deren Infrastrukturen haben einen großen volkswirtschaftlichen Nutzen. Jeder Euro, der durch die Verkehrsunternehmen erwirtschaftet wird, ist mit einer mehr als doppelt so hohen Wertschöpfung verknüpft. Und nicht zu vergessen sind die klimaschädlichen Subventionen des Bundes in zweistelliger Milliardenhöhe.
Wo sehen Sie den Schwerpunkt bei der Weiterentwicklung der Eisenbahn?
» Der Ausbau der Eisenbahn zum Verkehrsträger des 21. Jahrhunderts erfordert hohe Kontinuität und eine langfristige Strategie, in das Schienennetz zu investieren. Dies kann durch eine Finanzierungslösung mithilfe von Fondsmodellen zum Bestandserhalt sowie für den Neu- und Ausbau unterstützt werden. Neu geordnet werden muss zudem die Finanzierung der nicht-bundeseigenen Schieneninfrastrukturen, die rund 6.000 Kilometer, also 15 Prozent des deutschen Schienennetzes, umfassen. Sie spielen eine große Rolle für die Resilienz des Schienensystems, insbesondere während der Generalsanierung der Hochleistungskorridore. Der VDV schlägt hierzu die Einrichtung eines bundesweiten und überjährigen NE-Infrastrukturfonds vor.
Geklagt wird häufig, dass die fürs Klima wichtige Streckenelektrifizierung nicht vorankommt.
» Bislang sind nur rund 60 Prozent des Bundesschienennetzes elektrifiziert. Nimmt man die NE-Netze hinzu, liegt der Elektrifizierungsgrad sogar nur bei 54 Prozent. Für Klima- und Umweltschutz sollte das Streckennetz möglichst durchgängig elektrifiziert werden. Mit einem Sonderprogramm des Bundes könnten die nötigen Anreize geschaffen werden. Ein solches Programm wäre auch für die Bereitstellung von Ausweichstrecken im Störungsfall oder während Bauphasen von großer Bedeutung.