Der kommende Juni wird in Deutschland zum Europamonat. Freitag, 14. Juni: In München startet die Fußball-Europameisterschaft mit dem Eröffnungsspiel Deutschland gegen Schottland. Kurz davor ist am 9. Juni Wahlsonntag. Rund 350 Millionen Wahlberechtigte sind in den 27 Ländern aufgerufen, über die Zusammensetzung des zehnten Europäischen Parlaments zu entscheiden. Für das Kreuzchen auf dem Wahlzettel stehen aus den deutschen Parteien Kandidaten für sieben Fraktionen und eine Vielzahl von Kleinparteien zur Auswahl; die deutschen Kandidatinnen und Kandidaten bewerben sich um 96 der insgesamt über 700 Parlamentssitze.
Erfahrungsgemäß werden längst nicht alle Bürgerinnen und Bürger den Weg zur Urne antreten. Bei der letzten Europawahl 2019 lag die Beteiligung gerade bei 51 Prozent. Doch das offensichtliche Desinteresse an europäischer Politik verkennt, dass im Straßburger Parlament ganz wesentlich zu den politischen Weichenstellungen in der Gemeinschaft beigetragen wird. „Die Abgeordneten haben eine starke Stimme bei der Regulierung des zukünftigen Europas“, beobachtet Annika Degen, Leiterin des Brüsseler VDV-Büros: „Ihr Votum steht in den meisten Gesetzgebungsverfahren gleichberechtigt und gleichgewichtig neben den Entscheidungen der Mitgliedstaaten.“ Vor allem im Verkehrsausschuss und im Umweltausschuss würden die Parlamentarier die für die Verkehrsbranche wichtigen Dinge vorantreiben. Durchaus mit Konfliktpotenzialen: Der Umweltausschuss sei häufig ambitionierter in Sachen Klimaschutz, der Verkehrsausschuss trage in seinen Überlegungen eher Branchenbedenken Rechnung, wenn Reformpläne übereilt und zu kostspielig erscheinen. Annika Degen: „Letztlich ist aber allen klar, es führt kein Weg vorbei am Ziel der klimafreundlichen Wirtschaft.“ Dieser weithin beherrschende Gedanke sorge auch dafür, dass es leichter als in anderen Parlamenten ist, Kompromisse zu erzielen. „Denn es handelt sich ja meist um Themen, die eigentlich alle wollen.“
Verkehrsinfrastruktur steht im Fokus
Zentrales Thema der europäischen Verkehrspolitik ist immer wieder der Ausbau und die Optimierung der Verkehrsinfrastrukturen. „Infrastruktur ist Rückgrat und Nadelöhr. Es muss alles dafür getan werden, um mehr Kapazität für den wachsenden Verkehr zu schaffen“, sagt Lucie Petersen, Eisenbahnexpertin im Brüsseler VDV-Büro. Leistungsstarke Schienenwege seien die „Hardware“ im umweltfreundlichen Landverkehr für Mensch und Güter. Ausbau der Netze und Ergänzungen durch Neubau seien unumgänglich, aber auch die Digitalisierung etwa der Leit- und Sicherungstechnik schaffe zusätzliche Kapazitäten auf vorhandenen Gleisen.
Kurz vor der Jahreswende hatten sich Parlament und Rat auf die Überarbeitung der schon vor Jahrzehnten verabschiedeten Verordnung über EU-Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) verständigt. Neben dem Infrastrukturausbau ist seit den Anfängen im Jahr 1996 auch das Ziel einer gewissen Vereinheitlichung der Verkehrssysteme bis heute aktuell. Eines der Stichworte ist Interoperabilität. Sie ist insbesondere für den Bahnsektor ein zentrales Thema, um über Grenzen hinweg problemlos fahren zu können. In der jüngsten Überarbeitung der TEN-V sind nunmehr auch Klimaschutz und die Digitalisierung des Eisenbahnsystems stärker verankert. Für den Schienenverkehr bedeutet das: In einer ersten Phase bis 2030 soll das europäische Kernnetz modernisiert und perfektioniert werden, bis 2040 folgt das eingeführte erweiterte Kernnetz mit weiteren strategisch wichtigen Strecken. Wesentlicher Punkt dabei ist die Einführung des europäischen Eisenbahnverkehrsleitsystems ERTMS. Ein Plan, der seit Jahrzehnten nur mühselig vorankommt – nicht zuletzt wegen der hohen Kosten für die Implementierung der Technik in Streckeninfrastruktur und Schienenfahrzeuge. Schrittweise will die Union bis 2050 das Schienennetz möglichst flächendeckend europaweit auf digitale Standards bringen und zugleich auch die durchgehende Streckenelektrifizierung auf dem TEN-V realisiert haben.
Ein weiterer Aspekt ist die verstärkte Rolle für „städtische Knoten“. Das europäische Verkehrsnetz stütze sich im Personen- wie im Güterverkehr bei der „ersten und der letzten Meile“ auf die städtische Mobilität und müsse diese viel stärker in das TEN-Gesamtkonzept einbeziehen. Und das unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit, heißt es in den Statements der EU. Die Stärkung und Modernisierung des ÖPNV, der Umweltverbund von Bus und Bahn mit Fußgänger- und Radverkehr, emissionsarme Stadtlogistik sowie multimodale Hubs mit digitalen Lösungen sind dabei einige der zentralen Vorhaben. Auch beim zentralen Ziel der Klimaneutralität baut die EU auf die Städte: Hundert europäische Städte – aus Deutschland Aachen, Dortmund, Dresden, Heidelberg, Frankfurt/Main, Leipzig, Mannheim, München und Münster – sind im Rahmen einer EU-Mission als Vorreiter ausgewählt, um mit Forschungs- und Innovationsprojekten, politischen Maßnahmen, Rechtsetzungsinitiativen und Bürgerbeteiligung möglichst bis 2030 klimaneutral zu werden. EU-Kommissarin Margrethe Vestager fixiert den Anspruch: „Wir wollen bis 2030 Lösungen für die wichtigsten globalen Herausforderungen vorlegen.“