Rollende Pipelines ebnen den Weg zur Klimaneutralität
Deutschland will bis 2045 eines der ersten klimaneutralen Industrieländer werden. Zu den Schlüsseltechnologien zählt, CO2-Emissionen aufzufangen, bevor sie in die Atmosphäre gelangen und das Klima belasten. Die Bundesregierung hat dafür ihre Carbon-Management-Strategie auf den Weg gebracht, bei der es um die Abscheidung, die Speicherung und die Weiterverarbeitung des Treibhausgases geht. Eine entscheidende Rolle könnte der Schienengüterverkehr spielen.
Die Deutsche Bahn sieht hohes Potenzial für den Schienengüterverkehr beim Transport von abgeschiedenem CO2. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Marktanalyse von DB InfraGO und des Beratungsunternehmens SRP Consulting. Demnach werden gerade wegen des fehlenden Pipelineausbaus und steigender Preise für CO2-Zertifikate mittel- bis langfristig signifikante Transportmengen auf der Schiene erwartet. Die Verfasser der Analyse nennen für Branchen, in denen auch in Zukunft Treibhausgase unvermeidbar sind, ein Volumen von jährlich 35 Millionen Tonnen CO2, die abzuscheiden sind. Damit stützen sie sich auf eine Zahl der Bundesregierung. Etwa 80 Prozent dieser Menge müsste transportiert werden. „Da das Pipelinenetz auch in fernerer Zukunft noch lückenhaft sein dürfte, ist der Verkehrsträger Schiene bestens geeignet, diese Mengen aufzunehmen“, erläutert Dirk Rothe, bei DB InfraGO in der Region Süd zuständig für Infrastrukturentwicklung sowie für die Akquise und Vermarktung von Güterneuverkehren.
In einem als realistisch eingestuften Szenario geht DB InfraGO davon aus, dass im Jahr 2035 dafür etwa 50 Züge am Tag mit jeweils 30 Kesselwagen notwendig wären – also etwa 18.000 Ganzzüge pro Jahr. Kann das auch in Zukunft sicherlich mehr als ausgelastete deutsche Schienennetz dieses Aufkommen verkraften? Für die Hauptachsen haben die Fachleute von DB InfraGO weniger Bedenken. Dagegen sind die vorgelagerten Streckenabschnitte sowie die Infrastrukturanschlüsse an den jeweiligen Quellen und Senken auf ihre Leistungsfähigkeit hin zu prüfen, um diese bei Bedarf zu erweitern. Mit Blick auf den gesamten Schienengüterverkehr müsse berücksichtigt werden, dass die Transporte der fossilen Energieträger Kohle und Erdöl weiter rückläufig sein werden. Wegfallende Transporte können durch einen Teil der Neuverkehre ersetzt werden.
Vor allem in der Kalk- und Zementproduktion, in Teilen der Chemieindustrie, bei der Herstellung von Glas sowie bei der Verbrennung von Abfällen entsteht CO2, das sich auch künftig nicht vermeiden lässt. Damit diese Bereiche ebenfalls klimaneutral wirtschaften können, sollen Carbon Capture and Storage (CCS) – also die Abscheidung von Kohlendioxid und dessen Speicherung in der Nordsee – sowie Carbon Capture and Utilization (CCU) zum Einsatz kommen. Letzteres bezeichnet die Abscheidung, den Transport und die anschließende Nutzung des Gases für weitere Prozesse – etwa der Produktion von Chemikalien oder synthetischen Kraftstoffen. „Die Industrieanlagen großer CO2-Emittenten verfügen in der Regel über Gleisanschlüsse“, sagt Pascal Steidel, bei DB InfraGO Referent für Marktentwicklung: „Die Transportketten – etwa bei der Kalkindustrie – sind schon von der Schiene aus gedacht.“
Anfang August hatte das Bundeskabinett beschlossen, bisherige Hürden zum Transport und zur Speicherung von Kohlendioxid zu beseitigen. „CCS und CCU sollen in Deutschland ermöglicht werden, sonst sind die Klimaschutzziele nicht zu erreichen“, sagte Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. Die Technologien zur CO2-Abscheidung sind bereits verfügbar und so weit entwickelt, dass sie in Pilotprojekten erprobt werden können.
Unternehmen dezentral verteilt
Für ihre Marktanalyse führten DB InfraGO und SRP Consulting zahlreiche Interviews mit Unternehmen, die den Schienengüterverkehr nutzen. Zudem wurden Daten des Statistischen Bundesamts und der jeweiligen Landesämter ausgewertet. „Fraglich ist nicht, ob ein Transportbedarf besteht, sondern wann der CO2-Transport notwendige Realität wird“, so Dr. Hans-Christian Rabenhorst, geschäftsführender Partner bei SRP Consulting: „Der Markt erscheint klar, und er ist bereit.“ Die Unternehmen, die prozessbedingt und unvermeidbar CO2 produzieren, verteilen sich dezentral über ganz Deutschland – mit den entsprechend vielfältigen Transportrelationen. In den nächsten Schritten wollen DB InfraGO und SRP Consulting ihre Kunden dabei unterstützen, eventuelle Pilotprojekte umzusetzen und ihre CO2-Transporte per Güterzug zu realisieren.
Damit könnte die ohnehin klimafreundliche Schiene unter Beweis stellen, dass sie beim Transport eine Schlüsseltechnologie ist, die die Transformation zu grünen Energieträgern ermöglicht. Eine vergleichbare Marktuntersuchung hat die damalige DB Netz mit SRP Consulting vor zwei Jahren zum Transport von Wasserstoff durchgeführt. Sie kam zu dem Ergebnis, dass der Schienengüterverkehr den Unternehmen Lösungen bieten kann, die auch kurzfristig funktionieren(„VDV Das Magazin“ berichtete). Schritt für Schritt wird mittlerweile die H2-Infrastruktur ausgebaut. Infos zu Terminalstandorten, einen Bedarfsrechner für H2-Züge sowie Infos zu Herstellern entsprechender Waggons gibt es jetzt auch unter „Railway Tools“.