Im Netzwerk mehr Güter
auf die Schiene bringen

Vom derzeit kräftigen politischen Rückenwind für die Schiene kann auch der Güterverkehr profitieren. Die höher gesteckten Ziele beim Klimaschutz sind allerdings nur zu erreichen, wenn spürbar mehr Transporte vom Lkw auf die Eisenbahn verlagert werden. Dabei wollen die Unternehmen enger zusammenarbeiten. Das soll Güterbahnen, Speditionen und Kunden zugutekommen und nicht zuletzt das Gesamtsystem Schiene stärken.

Wir halten es für realistisch, dass wir die 25 Prozent Marktanteil in jedem Fall erreichen können - aber man kann ja auch immer mehr wollen.

Enak Ferlemann, Parl. Staatsekretär im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr


Wohl selten kam die bekannte Botschaft rasanter daher. „Güter gehören auf die Schiene“, formulierte es die Moderatorin äußerst bündig: „Das ist gut fürs Klima, das ist gut für die Wirtschaft, und das ist auch gut für Sie!“ Als Gameshow mit dem Güterzug inszenierte DB Cargo einen 50-sekündigen Werbespot für den umweltfreundlichen Schienengüterverkehr. Anders als an der Schranke ließ der eigentliche Hauptdarsteller nicht lange auf sich warten – und rauschte kräftig hupend durchs Bild. Auf den Tragwagen: Container, die mit den Namen von Marken beschriftet waren, die auf nachhaltige Transportketten setzen. Ein Millionenpublikum, das auf die 20-Uhr-Ausgabe der „Tagesschau“ wartete, sah dabei zu.

Gehört wird die Botschaft seit Jahrzehnten wohl, allein es fehlte der Glaube – und wegen der billigeren Konkurrenz auf der Straße vor allem auch die Umsetzung. Bislang jedenfalls. Denn so günstig wie 2021, im europäischen Jahr der Schiene, war die politische Ausgangslage, Verkehre zu verlagern, lange nicht. Die ersten Vorhaben des Masterplans Schienengüterverkehr beginnen zu wirken. Zudem legen Konsumgüterhersteller, Handelsketten, Großversender und Paketdienstleister ein wachsendes Bewusstsein für das Klima an den Tag. Die Schiene habe sich „vom notwendigen Muss zu einem Prestige-Verkehrsträger entwickelt“, sagte Axel Plaß, Präsident des DSLV Bundesverband Spedition und Logistik, bei den gemeinsam mit dem VDV per Videokonferenz ausgerichteten „Siegburger Gesprächen“. Auf ihren Internetseiten machen zahlreiche Unternehmen, so Plaß, darauf aufmerksam, dass sie als Beitrag zum Klimaschutz die Eisenbahn nutzen.

Unterdessen hat der Schienengüterverkehr in der Pandemie die Lieferketten in Deutschland und ganz Europa aufrechterhalten – und damit seine Leistungsfähigkeit und die Systemrelevanz der Eisenbahnen unter Beweis gestellt. Im ersten Quartal 2021 produzierte die Industrie wieder auf Rekordniveau, und auch das Transportaufkommen im Schienengüterverkehr bewegte sich wieder auf das Vorkrisenniveau zu. „Mittelfristig werden die Güterbahnen aber weiter stark wachsen müssen, wenn der Verkehrsbereich den gewünschten Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele leisten soll“, sagt Joachim Berends, VDV-Vizepräsident für den Bereich Schienengüterverkehr und Chef der Bentheimer Eisenbahn.

„Der Einzelwagenverkehr ist das Fundament für die Lieferketten“

Pro Tag verkehren 2.100 Züge mit Einzelwagen. Das entlastet die Straßen täglich um 20.000 Lkw-Fahrten. Dabei vermeidet der Weg über die Schiene im Vergleich zum Lkw 80 Prozent der CO2-Emissionen – pro Jahr sind das 1,5 Millionen Tonnen weniger als beim Lkw-Transport. Insgesamt entfallen 15 Prozent des Schienengüterverkehrs auf den Einzelwagen. Er spielt für die Wettbewerbsfähigkeit vieler Industriezweige – wie der Chemie-, Stahl-, Recycling- und Autoindustrie – eine tragende Rolle. Allein die Stahlindustrie wickelt gut die Hälfte ihrer Transporte über die Schiene ab. „Damit ist der Einzelwagenverkehr das Fundament für die Lieferketten deutscher Fertigungsbetriebe“, erläutert Dr. Sigrid Nikutta, Vorstandsvorsitzende von DB Cargo. Hinzu kommt der Systemnutzen für den gesamten Schienengüterverkehr: Denn für viele Unternehmen vor allem aus dem Mittelstand bedeutet der Einzelwagenverkehr den Zugang zum System Schiene.

Derzeit bekommt die Schiene starken politischen Rückenwind. In den nächsten Jahren werden Rekordsummen in den Neu- und Ausbau des Netzes investiert. Erstmalig fließt im kommenden Jahr mehr Geld in die Schieneninfrastruktur als in die Straße. Davon profitiert auch der Güterverkehr. „Wir halten es für realistisch, dass wir die 25 Prozent in jedem Fall erreichen können – aber man kann ja auch immer mehr wollen“, verdeutlicht BMVI-Staatssekretär Enak Ferlemann mit Blick auf den angepeilten Marktanteil des Schienengüterverkehrs im Jahr 2030: „Insofern haben wir die 30 Prozent gleich mit einkalkuliert.“ Diese Marke hält auch Dr. Martin Henke, VDV-Geschäftsführer Eisenbahnverkehr, für erreichbar, auch wenn es sich bei den ursprünglich 25 Prozent, die die Bundesregierung im Masterplan Schiene bis 2030 anstrebt, bereits um ein anspruchsvolles Ziel handele. „Die Anforderungen an die Politik, die Verkehrswende zu vollziehen, haben sich drastisch erhöht“, erläutert Henke. Um zusätzliche Verkehre fahren zu können, sind jedoch deutlich mehr Kapazitäten im Netz erforderlich. Im Modellfahrplan für das Jahr 2030 – dem Deutschlandtakt – sind die entsprechenden Trassen für die Güterzüge und Gelegenheitsverkehre reserviert. Nicht nur mit Großprojekten, sondern auch mit einer Fülle kleiner und mittlerer Ausbauvorhaben sowie mithilfe der Digitalisierung und der weiteren Elektrifizierung soll das Netz dafür ertüchtigt werden.

Gemeinsam mit vielen Partnern in ganz Deutschland und Europa steigen die Erfolgsaussichten für alle Beteiligten.

Christian Betchen,
Geschäftsführer der Kreisbahn Siegen-Wittgenstein

Voraussetzung für das weitere Wachstum des Schienengüterverkehrs ist neben der europaweiten Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) vor allem der Ausbau des Einzelwagenverkehrs. Dieser Form des Gütertransports will auch ein neugegründetes Netzwerk aus Bahnunternehmen kurzfristig zu neuem Schub verhelfen. Im Einzelwagenverkehr (siehe Infokasten oben) werden Waggons bei Verladern abgeholt, in Rangierbahnhöfen zu langen Zügen zusammengestellt und in der Zielregion wieder aufgeteilt – ein personal- und zeitaufwendiges Verfahren, das Optimierungspotenzial hat. Dieses System will das „Netzwerk Zukunft Einzelwagenverkehr“ (siehe Infokasten) leistungsfähiger und für die Verlader attraktiver machen. „Gemeinsam mit vielen Partnern in ganz Deutschland und Europa steigen die Erfolgsaussichten für alle Beteiligten“, erläutert Christian Betchen. Er ist Geschäftsführer der Kreisbahn Siegen-Wittgenstein, die mit DB Cargo und der Bentheimer Eisenbahn zu den zwölf Gründungsmitgliedern der Kooperation zählt. Nur wenige Wochen nach dem offiziellen Auftakt ist das Netzwerk bereits auf 23 Partnerunternehmen angewachsen. Die Koordination läuft federführend über den VDV. Zu den Unterstützern der ersten Stunde zählt auch das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE), in dem sich Wettbewerber von DB Cargo organisiert haben, die mehrheitlich auch VDV-Mitglieder sind. „Die Kooperation von Güterbahnen kann nicht nur vorhandene Schienentransporte stabilisieren, sie kann vor allem Lkw-Verkehre auf die Schiene verlagern“, betont Ludolf Kerkeling, Vorstandsvorsitzender des NEE und Vorstand der Havelländischen Eisenbahn (HVLE): „Dafür muss die Regierung allerdings auch zwingend die Subventionierung des Lkw zurückfahren.“

VDV ruft Austauschplattform zu Förderregularien ins Leben

Für die Eisenbahnen mit Güterverkehr gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Förderregularien – zum Beispiel für Gleisanschlüsse oder den Kombinierten Verkehr. Um den Unternehmen Hilfestellung zu geben und Praktikerinnen und Praktikern eine Möglichkeit zum Austausch zu bieten, hat der VDV auf Mitgliederwunsch ein neues Veranstaltungsformat ins Leben gerufen. Die Plattform „Förderregularien Schienengüterverkehr“ traf sich Mitte Juni erstmals digital.

Ein längerer Atem wird dagegen benötigt, bis die Digitalisierung des Schienengüterverkehrs ihre positiven Effekte zeigt: mehr Tempo, Effizienz und Flexibilität für das gesamte System. Einen Zug auf einem Güterbahnhof abzufertigen, ist derzeit noch Handarbeit – verbunden mit zahlreichen arbeitsintensiven Schritten, die mit hohem Zeitaufwand und entsprechenden Fixkosten verbunden sind. Von der ­Digitalisierung und Automatisierung verspricht sich die Branche eine Revolution. Dafür müssen europaweit etwa 450.000 Waggons mit der DAK ausgerüstet werden. Wie die Güterzüge der Zukunft weitgehend automatisiert abgefertigt werden, erprobt DB Cargo demnächst auf dem ersten digitalen Rangierbahnhof in München-Nord – gefördert durch das Bundesprogramm „Zukunft Schienengüterverkehr“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI).


Güterbahnen schliessen sich zu Kooperationsbündnis zusammen

Die Güterbahntochter der Deutschen Bahn – DB Cargo – und elf nichtbundeseigene Eisenbahnen haben das „Netzwerk Zukunft Einzelwagenverkehr“ ins Leben gerufen, um im Verkehr mit Einzelwagen und Wagengruppen intensiver zusammenzuarbeiten. Zwischenzeitlich ist das Netzwerk auf 23 Güterbahnen und zwei Unterstützer angewachsen (Stand: Ende Juni). Die beteiligten Partner wollen den Einsatz ihrer Ressourcen und ihre Betriebskonzepte optimieren – etwa durch Digitalisierung. Die rechtzeitige Übermittlung von Daten soll Bedienfahrten transparenter machen und die Abrechnung zwischen den Partnern – derzeit ein in hohem Maße manueller Prozess – erleichtern. Zudem ist es das Ziel, durchgängig einheitliche Qualitätsstandards bis zur „letzten Meile“ und Transparenz bei den Kundenanforderungen zu schaffen. Eingeführt werden soll ein eigenständiges Marketing für den Einzelwagenverkehr. Die beteiligten Partner ermöglichen sich wechselseitig den Einkauf von Transportleistungen. Ferner ist geplant, eine Übersicht über die klassischen und multimodalen Verlademöglichkeiten im Einzelwagenverkehr zu veröffentlichen. Um neue Zugangspunkte zum System Schiene zu schaffen, soll die Gleisanschlussförderung in der verladenden Wirtschaft beworben werden. Die zwölf Gründungsmitglieder des Netzwerkes sind die Albtal-Verkehrs-Gesellschaft, die Bentheimer Eisenbahn, Chemion, DB Cargo, Duisport Rail, Flex Bahndienstleistungen, die Kreisbahn Siegen-Wittgenstein, die Mindener Kreisbahnen, Rheincargo, der Rheinhafen Krefeld, die SWEG Südwestdeutsche Landesverkehrs-AG sowie die Westfälische Landes-Eisenbahn. Das Netzwerk ist offen für weitere Partner.
www.netzwerk-einzelwagenverkehr.de

Drei
Fragen an

Dr. Martin Henke, VDV-
Geschäftsführer Eisenbahnverkehr

Herr Dr. Henke, was macht Sie so zuversichtlich, dass es bis 2030 sogar mit dem ambitionierteren Ziel von 30 Prozent Marktanteil für den Schienengüterverkehr klappen könnte?
» Dr. Martin Henke: Während der Pandemie hat der Schienengüterverkehr nicht nur Resilienz bewiesen, es haben sich auch unsere Zukunftsaussichten verbessert – unter anderem dank eines verkehrspolitischen Endspurts der noch amtierenden Bundesregierung. Ganz aktuell haben wir die Trassenpreisförderung bekommen. Zudem verzeichnen wir einen erheblichen Mittelzufluss bei den Investitionen. Und es gibt eine Vielzahl von starken Verbesserungen: beim Planungsrecht, bei den Infrastrukturförderungen nicht nur bei Ersatz-, sondern auch bei den Neuinvestitionen, bei der Gleisanschlussförderung und beim Gleisanschlussrecht. Zusätzlich wurde eine Anlagenpreisförderung ins Leben gerufen. Absehbar ist auch eine verbesserte Förderung des Kombinierten Verkehrs.

Das klingt fast so, als ob die Branche wunschlos glücklich ist. Was bleibt dann für die nächste Legislatur­periode?
» Natürlich haben wir noch eine ziemlich lange Wunschliste. Insbesondere gefällt uns nicht, dass die Gebühren für das Eisenbahnbundesamt erheblich erhöht werden sollen.

Welchen Beitrag leisten der VDV und die Branche, den Schienengüterverkehr nach vorne zu bringen?
» Wir versuchen, die derzeit positiven Entwicklungen mit eigenen Aktivitäten zu begleiten, wie im digitalen Bereich mit dem Rail Freight Data Hub – einer gemeinsamen Datenplattform für Güterbahnen. Darüber hinaus wollen wir die Zusammenarbeit der Unternehmen stärken. Dazu dient auch das „Netzwerk Zukunft Einzelwagenverkehr“. Denn wir sind nicht nur daran interessiert, den Kombinierten Verkehr voranzubringen, bei dem Güter etwa zwischen der Straße und der Schiene umgeschlagen werden. Wir wollen auch ein Angebot schaffen für die Transportgrößen unterhalb eines Ganzzuges, die immer mehr dominieren. Wenn die Speditionen so etwas bündeln können, sollte das auch den Eisenbahnunternehmen untereinander gelingen – etwa in Zusammenarbeit mit den Speditionen. Dieses Netzwerk beginnt bereits zu wachsen.

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