Innovationen
06.07.2021

Automatisch auf der ganzen Linie

Das Autonome Fahren auf der Straße kommt voran. Bundestag und Bundesrat stellten Ende Mai die politischen Weichen im Straßenverkehrsgesetz, das auch dem ÖPNV neue Möglichkeiten eröffnet: Linienverkehr ohne Fahrzeugführer als Ergänzung zum klassischen Angebot von Bussen und Bahnen. In der kleinen Stadt Monheim am Rhein ist das schon Realität.


Knifflige Verkehrssituationen bringen sie schon mal aus dem Konzept, und Verkehrsregeln, etwa rechts vor links, kennen sie überhaupt nicht – aller Anfang ist bekanntlich schwer. Und doch: Im Viertelstunden-Takt bahnt sich die kleine Flotte langsam, aber beharrlich mit 16 Stundenkilometer und fahrplanmäßig ihren Weg durch ein enges Tempo-30-Straßengewirr zwischen dem Busbahnhof und der Altstadt des Städtchens im Süden von Düsseldorf. Mit Strom aus der Batterie, nahezu lautlos und im Verkehr garantiert CO2-frei.

2,1

Millionen Euro

wurden in Monheim in den Verkehr mit den autonomen Shuttles investiert. Zu 90 Prozent wurde das Projekt vom Bund und vom Land Nord­rhein-Westfalen gefördert.

Als erste Kommune weltweit hat Monheim einen Linienbetrieb mit autonomen Fahrzeugen auf die Straße gestellt. Die Linie A01 wird bedient von fünf Bussen – in den Farben der Bahnen der Stadt Monheim (BSM). Wobei Bahnen nicht mehr fahren, das Unternehmen aber noch Schieneninfrastruktur betreibt. Die Autonomen aber fahren gewissermaßen auf virtuellen Schienen: Der Linienweg über stille und weniger stille Straßen ist „eingelesen“; dank umfänglicher Sensor- und Rechnertechnik finden die Mini-Busse stets die vorgezeichnete Strecke. Gefahren wird regulärer Busverkehr mit Linienkonzession vorerst bis Ende Januar 2026, nach Fahrplan und mit der im Personenbeförderungsgesetz vorgesehenen Bedienpflicht.
Sechs Sitze mit Sicherheitsgurten, fünf Stehplätze – das ist die Kapazität, die in Corona-Zeiten allerdings nur eingeschränkt von bis zu drei Fahrgästen genutzt werden darf. Immer an Bord muss der „Operator“ sein. Ein gelernter Busfahrer, der alles das übernimmt, was die Fahrzeugtechnik noch nicht beherrscht. Vorfahrtregelungen, Abstimmungen mit anderen Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern und Gegenverkehr und was sonst noch zum Alltag auf der Straße gehört. Wichtig aber: Der BSM-Mitarbeiter fährt das Fahrzeug nicht im Normalfall, sondern nur in kniffligen Situationen. Zum Beispiel: Da parkt der Kleinlastwagen eines Paketdienstes auf der unsichtbaren Spur der Linie A01. Dann muss der Operator ran und per Steuerhebel – ohne Lenkrad – das noch etwas ungelenk aussehende Gefährt des französischen Herstellers EasyMile vom Typ „EZ 10 Gen2“ um das Hindernis herumrangieren und wieder auf seine digitale Schiene setzen.

Zwei der autonom fahrenden Shuttles am Monheimer Busbahnhof: Insgesamt bedienen fünf Fahrzeuge die Linie A01.

Seit einem Jahr sind die fünf Busse unterwegs. Nachdem im vergangenen Sommer noch eine Auslastung von über 50 Prozent erreicht wurde, pendelte die Besetzung in den letzten Monaten mit der Pandemie-Notbremse zwischen 20 und 30 Prozent, berichtet BSM-Betriebsleiter Michael Hamann: „Leider hindert uns Corona an einer hundertprozentigen Leistungsfähigkeit.“ Ohnehin würde die Linie derzeit über eine 2,7 Kilometer lange Umleitungsstrecke geführt: Mehr Nachfrage verspricht man sich in Monheim nach Abschluss von Bauarbeiten in der Innenstadt. „Wenn die eigentliche Linienführung gefahren wird, gibt es auch konkrete Aufgaben für die Linie“, hofft Michael Hamann. Der dann um einen Kilometer kürzere Weg in die Altstadt – spektakulär durch Monheims 600 Jahre altes und enges Wahrzeichen Schelmenturm – könne dann im Zehn-Minuten-Takt bedient werden. „Das schafft bessere Anschlüsse zum Busbahnhof und in die Altstadt und bedient die Verkehrsnachfrage. Außerdem gibt es Anbindungen an einen neuen Gesundheitscampus und an ein Pflegeheim.“

„Ein echtes Leuchtturmprojekt“

„Die Bedeutung des A01-Betriebs in Monheim kann gar nicht genügend hervorgehoben werden“, erklärt Emanuele Leonetti, VDV-Experte zum Autonomen Fahren im ÖPNV. Das Vorhaben sei „ein echtes Leuchtturmprojekt“ mit wichtigen Zwischenschritten für die Integration autonomer zusätzlicher Verkehrsangebote in den ÖPNV. Das betreffe insbesondere die Entwicklungen zur betrieblichen Integration der Fahrzeuge in das Betriebsleitsystem der BSM. Dabei geht es ganz wesentlich um die Perfektionierung des Autonomen Fahrens. „Das Maß der Fortentwicklung ist das Stufenmodell für das automatisierte Fahren, das die internationale Gesellschaft für Automotive Engineering (Society of Automotive Engineering, SAE) vor einigen Jahren entwickelt hat“, erläutert Betriebsleiter Michael Hamann. „Derzeit bewegen wir uns im Level 2, wir müssen aber Level 4 erreichen, um die Vorteile des autonomen Busses voll ausspielen zu können.“

Autonom und elektrisch: Ein Fahrzeug der Bahnen der Stadt Monheim (BSM) tankt an der
Ladesäule wieder auf.

Derzeit noch ist der Operator im Fahrzeug unverzichtbar, weil er jederzeit in den Betrieb eingreifen und diesen bei Bedarf unterstützen muss. Im Level 4 dagegen soll der Bus voll automatisch im Einsatz sein und sich dank anspruchsvoller Technologie weithin wie ein ausgeschlafener menschlicher Verkehrsteilnehmer bewegen – dann auch entsprechend der Verkehrsregeln. Doch längerfristig beabsichtigen Verkehrsunternehmen und Industrie die Busfahrt ohne Personal. Personallos wird der Betrieb deswegen nicht werden: Stattdessen wird künftig eine „technische Aufsicht“ den Betrieb kontrollieren, so sieht es die Gesetzgebung vor. Die Entwicklung der Systeme geht dahin, die Fahrzeuge künftig von der Betriebsleitzentrale des Verkehrsunternehmens aus zu überwachen und bei Bedarf Manöver freizugeben. So werden sich auch neue Berufsbilder im ÖPNV für die autonome Verkehrswelt entwickeln. Aus Busfahrern werden gewissermaßen „Fluglotsen“ – nur eben für die Straße. Und für den Notfall gibt es im Fahrzeug einen Alarmknopf, wie heute schon die Notbremse.

Rund 2,1 Millionen Euro wurden in das Monheimer Projekt investiert. Dass es tatsächlich ein Leuchtturmprojekt ist, lässt sich daran ablesen, dass 90 Prozent der Summe Fördergelder von Bund und Land Nordrhein-Westfalen waren. Schon heute erwägt die Stadt, ein Gewerbegebiet ebenfalls mit automatischem Verkehr anzuschließen. Michael Hamann: „Momentan suchen wir nach Finanzierungsmöglichkeiten. In erster Linie aber gilt es, Level 4 nach SAE zu erreichen.“

Grünes Licht für Level 4

Bundestag und Bundesrat haben ein Gesetz zum Autonomen Fahren beschlossen. Es regelt die Voraussetzungen für einen Einsatz autonomer Fahrzeuge in bestimmten Betriebsbereichen im Level 4 möglichst schon vom nächsten Jahr an. Im Gesetz vorgesehene Einsatzszenarien sind nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums (BMVI) unter anderem:

  • Shuttle-Verkehre von A nach B,
  • People-Mover (Busse, die – wie in Monheim – auf einer festgelegten Route unterwegs sind),
  • Verkehre von Hub zu Hub, etwa zwischen Logistikzentren,
  • nachfrageorientierte Angebote in Randzeiten,
  • die Beförderung von Personen und/oder Gütern auf der ersten oder letzten Meile,
  • „Dual Mode Fahrzeuge“ wie zum Beispiel beim Automated Valet Parking (AVP) - einem automatischen Parkservice.

Geregelt werden im Wesentlichen technische Anforderungen, Rechte und Pflichten der Personen in den autonomen Fahrzeugen, die Betriebserlaubnis durch das Kraftfahrt-Bundesamt, Vorschriften für die Erprobung von automatisierten und autonomen Kraftfahrzeugen.
Das Gesetz zum Autonomen Fahren ist eine Übergangslösung, bis auf internationaler Ebene harmonisierte Vorschriften vorliegen, betont das BMVI.


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