Infrastruktur
24.05.2023

Durch den Förderdschungel
zur Mobilitätswende

Für die Mobilitätswende erwartet die Politik mehr Kapazität und mehr Qualität bei Bus und Bahn. Dafür sind erhebliche Investitionen fällig – mit erheblichen Kosten für die Betreiber. Auf Jahre geht das nur mit Unterstützung des Steuerzahlers: Bund und Länder haben deshalb eine vielfältige, aber nicht immer übersichtliche Förderlandschaft entwickelt, an der sich auch die EU beteiligt. Bei dem komplexen Thema unterstützt der VDV seine Mitgliedsunternehmen mit Rat und Tat.

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Förderprogramme

listet die Förderdatenbank des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz bei der Stichwortsuche „ÖPNV“ auf.


Der ÖPNV ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Insbesondere über das Regionalisierungsgesetz und das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) fließen seit Jahrzehnten Milliarden in den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und in den kommunalen ÖPNV mit Bussen und Bahnen. Beide Gesetze sind im Zuge der für den Klimaschutz notwendigen Verkehrswende stärker in den politischen Fokus gerückt. Die für die Verkehrsunternehmen positive Entwicklung: „Der zur Verfügung stehende Finanzierungsrahmen wurde mittelfristig erheblich verbessert und der Katalog der förderfähigen Maßnahmen erweitert“, beschreibt Dr. Sebastian Rehse, beim VDV Experte für die ÖPNV-­Finanzierung.

Dennoch ist der Mittelbedarf weiter gewaltig, und mit dem Start des Deutschland-Tickets wird sich die Verkehrsnachfrage im ÖPNV deutlich erhöhen. Eine Studie der Beratungsfirma Roland Berger im Auftrag des VDV hatte schon vor gut zwei Jahren bilanziert: Im Schienennahverkehr muss für ein ­attraktives Angebot die Zugkilometerleistung um gut ein Drittel steigen, bei Buslinien ist sogar mehr als eine Verdopplung der Fahrzeugkilometerleistung nötig, wenn die Klimaschutzziele im Verkehrssektor erreicht werden sollen. Macht unter dem Strich insbesondere für Infrastrukturen, Fahrzeuge, Betriebshöfe, Busbahnhöfe und Personalkosten einen Betrag von annähernd 15 Milliarden Euro. Eine Zahl, die aus der Zeit vor dem russischen Angriff auf die Ukraine stammt. Die Studie verwies auch darauf, dass die Fahrgeldeinnahmen allenfalls um die Hälfte wachsen könnten, um Kundinnen und Kunden nicht mit zu hohen Preisen abzuschrecken.

Jetzt kann der Bund endlich an den Kosten der vielen Erneuerungsmaßnahmen beteiligt werden, die in den nächsten Jahren bei vielen Stadt- und U-Bahnstrecken fällig werden.

Dr. Sebastian Rehse,
VDV-Experte für die ÖPNV-Finanzierung

Zunächst mehr Fördermittel als Projekte

Bis 2019 kamen aus dem Bundeshaushalt jährlich rund 333 Millionen Euro in den GVFG-Topf; 2020 wurden die Mittel verdoppelt, für die folgenden Jahre bis 2024 sind jeweils eine Milliarde Euro und danach zwei Milliarden Euro vorgesehen. Für die aktuelle Verdreifachung der Bundesmittel habe es zunächst noch nicht genug Förderprojekte gegeben: „Die Latte war überraschend hoch. Aber jetzt sind alle auf dem Sprung“, ist sich Sebastian Rehse sicher. Gefördert werden nunmehr auch Elektrifizierung und Reaktivierung von stillgelegten Strecken. Und: Vorhaben zur Grunderneuerung von Verkehrswegen. Sebastian Rehse: „Dafür hat sich der VDV besonders eingesetzt; jetzt kann der Bund endlich an den Kosten der vielen Erneuerungsmaßnahmen beteiligt werden, die in den nächsten Jahren bei vielen Stadt- und U-Bahnstrecken fällig werden.“

Mehr Geld für den öffentlichen Verkehr verspreche auch die vorletzte Aufstockung der Regionalisierungsmittel im vergangenen Jahr. Das bedeutet für 2023 einen Anstieg von zuvor vorgesehenen rund 9,8 auf nun annähernd 10,9 Milliarden Euro. Dieser Betrag wächst dann bis 2031 jedes Jahr um weitere drei Prozent. Der VDV-Experte erläutert: „Dieser Finanzierungsbeitrag des Bundes ist eine Leistung, die in den 1990er-Jahren nach der Bahnreform mit den Ländern vereinbart wurde. Das Regionalisierungsgesetz verteilt das Bundesgeld über einen Länderschlüssel, und die Länder sind gefordert, ihrerseits weitere Mittel zur Verfügung zu stellen.“ Leider sei genau diese Praxis von Land zu Land recht unterschiedlich. Und nach wie vor fließt wie gesetzlich vorgesehen der Löwenanteil der Regionalisierungsmittel in die Finanzierung des SPNV, und für den kommunalen ÖPNV blieben jährlich kaum mehr als zwei Prozent übrig.

Planungskapazitäten fehlen

Aus Branchensicht sind die Länder in der Mehrheit noch zu zurückhaltend, was die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs betrifft. Und das, obwohl der Nahverkehr laut Grundgesetz Ländersache ist. Experten wie Meinhard Zistel, Leiter der Stabsstelle Fördermittel bei den Kölner Verkehrs-Betrieben (KVB), beklagen, dass sich die Länder allenfalls mit etwa einem Viertel an den Kosten des ÖPNV beteiligen: „Aus unserer Sicht ist das nicht genug.“ Angesichts der hohen Investitionen für die Mobilitätswende sollte von der Landesebene „eigentlich der überwiegende Teil“ an Förderung kommen. Auch von den Kommunen könne man sich zum Teil mehr finanzielles Engagement für den ÖPNV als Investition in den Wirtschafts- und Wohnstandort vorstellen, meint Meinhard Zistel.

Immerhin: Das Land Nordrhein-Westfalen sei eine löbliche Ausnahme, zum Beispiel mit dem Programm „Kommunale Schiene NRW“. Rund eine Milliarde Euro sollen bis 2031 in Maßnahmen zur Grunderneuerung in die Stadtbahnnetze des Landes fließen. Das sei „eine durchaus empfehlenswerte Praxis auch für andere Regionen der Bundesrepublik“. Allerdings fehlt es in vielen Rathäusern an Planungskapazitäten, um Projekte überhaupt reif für die Förderung zu machen. Meinhard Zistel beklagt zudem: „Leider funktioniert das Förderprogramm sehr bürokratisch. Zwischen Antrag und Bewilligung ­liegen schnell ein bis anderthalb Jahre. Das muss deutlich schneller werden.“ Und er lobt noch einmal NRW: Da werde jetzt für Schieneninfrastrukturprojekte mithilfe einer besonderen Förderung für Architekten- und Ingenieurhonorare ein Planungsvorrat aufgebaut, um im Fall des Falles nur in die Schublade greifen zu müssen. „Wir begrüßen die neue Richtlinie Planungsvorrat ausdrücklich, denn sie hilft den Kommunen, ihre Projekte schneller in Angriff zu nehmen. Leider konnten in diesem Jahr keine neuen Anträge bewilligt werden, weil die Mittel schon wieder aufgebraucht sind.“

Vielfalt an Förderung kaum überschaubar

Die neue Richtlinie Planungsvorrat hilft den Kommunen, ihre Projekte schneller in Angriff zu nehmen.

Meinhard Zistel,
Leiter der Stabsstelle Fördermittel bei den Kölner Verkehrs-Betrieben

Neben der klassischen Finanzierung aus den Töpfen von Bund und Ländern finden die Verkehrsunternehmen immer wieder auch andere Finanzierungsmöglichkeiten. Die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) haben den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) für sich entdeckt, der Vorhaben in eher strukturschwachen Regionen zum Aufbau von Wirtschaftskraft und Lebensqualität finanziell unterstützt. So wurden in der letzten Förderperiode 125 Millionen Euro abgerufen, die ganz überwiegend in die Beschaffung neuer klimaschonender Fahrzeuge flossen. Im aktuellen EFRE-Programm geht es unter anderem um das „CO2-freie Europa“. Auch hier wollen die DVB mit der Aufstockung ihrer Stadtbahnflotte einen Beitrag im Sinne der Mobilitätswende leisten: Mehr moderne Fahrzeuge bedeuten mehr Umsteiger vom Auto in die Bahn.

Für Laien ist die Fördervielfalt kaum überschaubar. Die beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klima­schutz angesiedelte Förderdatenbank listet bei der Stichwortsuche ÖPNV derzeit 79 Förderprogramme auf. Sie beschreibt die Programme, nennt Fördergeber sowie die Förderart und schlüsselt alles bei Bedarf nach den 16 Bundesländern auf. In der komplexen Materie lässt der VDV seine Mitgliedsunternehmen nicht alleine und bietet einen „Erfahrungsaustausch Fördermittel“ – eine Runde mit den ausgewiesenen Fördermittelexperten der VDV-Mitgliedsunternehmen. „Die treffen sich zweimal im Jahr, um sich mit Blick auf die aktuellen ÖPNV-Fördermöglichkeiten gegenseitig informiert zu halten und voneinander zu lernen“, erläutert Sebastian Rehse. Zuletzt traf sich die Runde Anfang Mai, nächster Termin: 13. und 14. November 2023. „Auch regional gibt es viele Gesprächskontakte, und Informationen zum Thema finden sich reichlich im Internet von den unterschiedlichsten Organisationen sowie im VDV-Mitgliederbereich“, ergänzt Meinhard Zistel: „Da fällt es dann leichter, im Förderdschungel den Durchblick zu bekommen und dauerhaft zu behalten.“

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