Rollende Pipelines
für grünen Energieträger
Wasserstoff (H2) gilt vor allem in der Industrie als Hoffnungsträger für die Dekarbonisierung. Erst 2050 soll Deutschland über ein gut ausgebautes H2-Leitungsnetz verfügen. Bis es so weit ist, sind Erzeuger und Verbraucher auf alternative Transportmittel angewiesen. Attraktive Lösungen, die kurzfristig funktionieren, könnte der Schienengüterverkehr bieten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Marktuntersuchung, die DB Netz mit der Unternehmensberatung SRP Consulting durchgeführt hat.
Noch ist die Nachfrage nach Wasserstoff gering. Aber der Hochlauf wird sich in den kommenden Jahren rasant beschleunigen, um die Wirtschaft von fossilen Energieträgern unabhängig zu machen und die Klimaziele zu erreichen. Zusätzlich haben der russische Angriff auf die Ukraine und die drohende Gasknappheit die Dringlichkeit verschärft, alternative Energieträger auszubauen – samt ihrer Infrastruktur und ihrer Transportwege.
Inwiefern eignet sich die Schiene, um Pipelines beim Transport von Wasserstoff zu ergänzen? Und wie groß ist das Potenzial? Das wollten DB Netz und das Beratungsunternehmen SRP Consulting wissen. Online wurden mehr als 1.300 deutsche Unternehmen mit Gleisanschluss angeschrieben. „Es lag eine überraschend, aber erfreulich hohe Antwortbereitschaft vor. Knapp 300 Unternehmen haben an der Befragung teilgenommen und Interesse bekundet“, berichtet Dirk Rothe, bei DB Netz zuständig für Akquise und Vermarktung von Güterneuverkehren in der Region Süd. Wesentliche Erkenntnisse der Befragung: Von den Unternehmen, die geantwortet haben, verfolgt ein Viertel eine eigene Wasserstoffstrategie - überwiegend im Bereich Transport, Logistik und Güterumschlag sowie in der Metallindustrie. Fünf Prozent verarbeiten bereits Wasserstoff. Für das Jahr 2030 wird das gesamte Aufkommen von H2-Transporten auf 1,5 Millionen Tonnen prognostiziert. Es ist davon auszugehen, dass etwa 80 Prozent davon über Pipelines befördert würden. Blieben konservativ geschätzt 300.000 Tonnen, die auf andere Verkehrsträger wie die Schiene verlagert werden könnten.
20
Prozent
des für das Jahr 2030 auf 1,5 Millionen Tonnen prognostizierten Transportaufkommens von H2 könnten auf andere Verkehrsträger wie die Schiene verlagert werden - konservativ geschätzt 300.000 Tonnen.
In erste Gespräche eingestiegen
Bei der bloßen Erhebung von Daten wollten es die Projektpartner nicht bewenden lassen. Zusätzlich führten sie vertiefende Gespräche mit potenziellen Wasserstoff-Erzeugern, Herstellern von Transporttechnik, Güterbahnen, Terminalbetreibern und Endverbrauchern. „Der Bedarf ist da, und das Thema wird kommen“, sagt Dirk Rothe: „Wir haben von sehr interessanten, konkreten Plänen erfahren.“ Vieles davon sei jedoch noch geheim. Was er sagen kann: Ein Energieversorger plane beispielsweise den Bau eines Elektrolyseurs zur H2-Produktion in Norddeutschland, andere Unternehmen wollen das Gas bei energieintensiven Produktionsverfahren einsetzen.
Per Zug von der Quelle zur Senke
Vor allem in der Stahl-, Metall- und Chemieindustrie sowie bei der Herstellung von Zement, Glas und Papier kommt Wasserstoff als Alternative zu fossilen Energieträgern in Betracht. Die über ganz Deutschland verteilten Verbraucher – sogenannte „Senken“ – sowie die künftigen Hersteller oder Häfen (die „Quellen“) sind über ihre Gleisanschlüsse und zahlreiche Güterzug-Relationen schon jetzt miteinander verbunden. Verbraucher, die bisher keinen Gleisanschluss haben, können sich diesen in der Regel innerhalb von zwei bis drei Jahren legen lassen. Zwischenzeitlich können sie auf der „letzten Meile“ per Lkw mit H2 versorgt werden. Bislang gibt es nur vereinzelt kleinere Wasserstoffnetze, wie zum Beispiel im Ruhrgebiet und rund um Leipzig. Da das bestehende Erdgasnetz nicht gleichzeitig für H2 genutzt werden kann und ein Neu- beziehungsweise Umbau zu einem flächendeckenden Wasserstoffnetz bis 2030 nicht zu stemmen ist, bleiben als Ergänzung zu Pipelines nur mobile Transportlösungen. „Sowohl Rotterdam als auch Brügge wollen beim Wasserstoffimport die Nummer eins in Europa werden“, erläutert Sandra Holzmann, Teamleiterin Marktentwicklung bei DB Netz. Das Schienennetz in Deutschland, Belgien und den Niederlanden ist dicht geknüpft, mit bestens angeschlossenen Nordseehäfen. Beim Weitertransport kann der Schienengüterverkehr seine bekannten Systemvorteile ausspielen – wie die Wirtschaftlichkeit über lange Strecken und die Sicherheit beim Transport von Gefahrgut. Alles bei niedrigem Energieverbrauch mit geringem CO2-Ausstoß.
Bleibt die Frage nach der Methode. Laut Untersuchung sind die Technologien bereits verfügbar oder in ihrer Entwicklung so weit fortgeschritten, dass Pilotprojekte angeschoben und die Zulassung auf den Weg gebracht werden können. Beispielsweise lässt sich gasförmiger Wasserstoff in Spezialcontainern auf Tragwagen befördern. Außerdem können reguläre Kesselwagen genutzt werden, wenn H2 in Trägerflüssigkeiten gelöst ist. Zum Vor- und Nachlaufprozess benötigt man hierfür zudem sogenannte Cracker, die den Wasserstoff am Zielort aus dem Trägermedium lösen und ihn nutzbar machen. „Hier sind wir im Gespräch mit Herstellern, weil die Endverbraucher wissen wollen, was die H2-Infrastruktur insgesamt kostet“, erläutert Pascal Steidel, Referent Marktentwicklung bei DB Netz. Aktuell noch nicht umsetzbar ist der Transport von flüssigem Wasserstoff, da dieser auf minus 253 Grad heruntergekühlt und daher in speziellen Wagen transportiert werden muss. Die ersten Endverbraucher wollen bereits in zwei bis drei Jahren über Wasserstoffverkehre beliefert werden. „Die Schiene ist die Schlüsseltransporttechnologie, die eine zeitnahe Energietransformation hin zu grünen Energieträgern ermöglicht“, stellt Dr. Hans-Christian Rabenhorst, Geschäftsführender Partner bei SRP Consulting fest. Der Hochlauf werde aber nur erfolgreich zu organisieren sein, wenn alle Marktteilnehmer ihre Kräfte bündeln. Sandra Holzmann: „Nun suchen wir uns Verbündete, um gemeinsam die nächsten Schritte zu gehen.“