Mit Digitalisierung
mehr Güter auf die
Schiene holen

Beschleunigte Investitionen, gesteigerte Bautätigkeit, die trotz Krise weitergeführt wird, eine verbesserte Gleisanschlussförderung und die neue Anlagenpreisförderung: „Das sind Dinge, die uns zuversichtlich stimmen“, betonte Dr. Martin Henke, VDV-Geschäftsführer Eisenbahnverkehr, beim Forum Schienengüter­verkehr von BME und VDV. Das fand erstmals digital statt. „Mit Blick auf die Klimaschutzziele und die Digitalisierung bleiben die Herausforderungen aber weiterhin hoch“, so Henke.


Digitales Forum Schienengüterverkehr (links im Uhrzeiger­sinn): Dr. Silvius Grobosch (BME), Prof. Dr. Uwe Clausen (Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) & Institut für Transportlogistik (ITL)), Dr. Martin Henke (VDV) und Carsten Taucke (BGA) begrüßten rund 140 Teilnehmende.


Das unterstrich auch Dr. Silvius Grobosch, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME): „Wir müssen schneller werden und beispielsweise die zahlreichen Modernisierungsmaßnahmen im Masterplan Schiene zügig umsetzen.“ Zwar hat sich die Eisenbahn als zuverlässiger Verkehrsträger in der Corona-Krise bewährt, trotzdem war der teilweise Shutdown ganzer Industrien ein herber Rückschlag für die Branche. Dessen ungeachtet gelten die Klimaschutzziele der Bundesregierung weiter, die sich ohne ein Mehr an Gütertransporten auf der Schiene nicht erreichen lassen. „Wenn wir die Wachstumsziele von 25 Prozent Marktanteil in einem insgesamt steigenden Markt bis 2030 erreichen wollen, müssen wir das Potenzial der Digitalisierung schnellstmöglich voll heben“, verdeutlichte VDV-Vizepräsident Joachim Berends. Die Branche habe mit dem Umbau bereits begonnen. Doch der Bund sei mehr denn je gefordert, die Digitale Automatische Kupplung und den Rail Freight Data Hub als Schlüsselmaßnahmen zu fördern.

Wenn wir die Wachstumsziele von 25 Prozent Marktanteil bis 2030 erreichen wollen, müssen wir das Potenzial der Digitalisierung schnellst­möglich voll heben.

Joachim Berends, VDV-Vizepräsident für den Bereich Schienengüterverkehr

Steffen Bilger, Parlamentarischer Staatsekretär im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), verwies dazu auf die guten Zahlen für den gesamten Schienensektor im Verkehrshaushalt: „Im laufenden Jahr haben wir 8,5 Milliarden Euro für die Förderung der klimafreundlichen Schiene veranschlagt. 2022 ist geplant, diesen Betrag nochmals zu erhöhen und erstmals mehr Geld in den Verkehrsträger Schiene zu investieren als in den Straßengüterverkehr.“ Am genannten Ziel 25/30 halte man im BMVI fest. Das sei zwar ambitioniert, aber machbar. „Die Hausaufgaben dafür müssen wir aber jetzt machen – mit der Umsetzung umfangreicher Maßnahmen und der Anstrengung aller Akteure“, so der Staatssekretär. Zu diesen Maßnahmen zählt er, etwa auf europäischer Ebene die Schaffung einheitlicher Rahmenbedingungen für den Schienengüterverkehr sowie in Deutschland die Förderung von Gleisanschlüssen gezielt voranzutreiben. Dazu sei geplant, die Fördermaßnahmen für Gleisanschlüsse auf multimodale Umschlagpunkte wie Railports auszuweiten und so Möglichkeiten zu schaffen, auch städtische Infrastrukturen künftig mit dem Güterzug versorgen zu können. Railports sind Logistikzentren, die einen effizienten Güterumschlag zwischen Schiene und Straße ermöglichen.

Steffen Bilger, Parl. Staatssekretär im BMVI, erläuterte, was die Bundesregierung für die Schiene und den multimodalen Verkehr tut.

Bei der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) befinde man sich aktuell in der Phase der Praxistests zur DAK-Auswahl, informierte Dr. Jens Klocksin, im BMVI Leiter des Referats Forschungsangelegenheiten im Eisenbahnbereich. Darunter seien auch die gefürchteten Wintertests der Green Cargo im nordschwedischen Luleå. Erste Testergebnisse sollen im Frühjahr 2021 vorliegen. Auf europäischer Ebene soll das European DAC Delivery Programme (EDDP), in dem verschiedene Akteure des EU-Eisenbahnsektors zusammenarbeiten, bis zum Sommer eine fundierte Entscheidung treffen, um einen europaweiten DAK-Standard festzulegen. Als nächste Phase stehen dann ab Mitte 2021 die Betriebserprobung und Zulassungstests an. Dazu werden 24 Wagen zu einem Demonstratorzug umgerüstet, mit dem voraussichtlich in der D-A-CH-Region umfassende Praxiserfahrungen gesammelt werden sollen. „Die Einführung einer Digitalen Automatischen Kupplung wird die Produktivität, Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs erhöhen“, ist sich der Referatsleiter sicher.

Lösungen für Konsumgüter und den Handel

Vielfach lässt sich das vorhandene Potenzial der Schiene aber auch schon heute stärker nutzen – BME und VDV hatten daher speziell die Verlagerungsmöglichkeiten für die Konsumgüterindustrie und den Handel in den Mittelpunkt der Veranstaltung gerückt. Inwieweit die Schiene dafür geeignet ist, erläuterte Prof. Dr. Uwe Clausen, Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund. Die Stärken des Güterzugs sieht er vor allem auf längeren Strecken. Im kombinierten Verkehr ist der Güterzug beispielsweise bei eingehenden Verkehren zum Zentrallager eine feste Größe. In der Verteilung vom Lager in die Filiale spiele er jedoch aufgrund der Zeitvorgaben und der Mindestmenge für regelmäßige Verkehre bislang keine Rolle. Das muss nach Ansicht von Prof. Clausen aber nicht so bleiben. Insbesondere starke Warenströme zu und von großen Lagern böten hier Potenzial. Zudem seien neue Logistiklösungen notwendig, mit denen der Schienengüterverkehr bisherige Schwächen kompensieren kann. Dazu zählt er etwa den Einsatz von künstlicher Intelligenz für eine stärkere Automatisierung, für bessere Kapazitätsprognosen und für die Planung von Ankunftszeiten. Dass die Schiene bereits jetzt eine leistungsstarke Alternative für den Transport von Lebensmitteln und Konsumgütern sein kann, zeigten die Musterbeispiele Coca-Cola, Warsteiner und Migros Ostschweiz. Im Engadin - einem der höchstgelegenen Täler Europas - nutzt die Schweizer Genossenschaft die Bahn sogar für die KV-Belieferung ihrer Filialen mit ultrafrischer Ware – sechs Mal in der Woche und zwei Mal am Tag.

Dr. Sigrid Nikutta, Vorstandsvorsitzende von DB Cargo und Vorstand Güterverkehr bei der DB, erläuterte Wachstumskonzepte für den Schienengüterverkehr.

„Unzuverlässig, fehlende Gleisanschlüsse und stillgelegte Strecken“ – mit diesen Äußerungen seiner Mitgliedsunternehmen legte Carsten Taucke, Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), den Finger in die Wunde des Schienengüterverkehrs. Daher sei und bleibe die Straße für die BGA-Unternehmen, die rund 60 Prozent der Güterverkehre in Deutschland veranlassen, wichtig. Allerdings: Sie seien durchaus gewillt, Transporte verstärkt auf die Schiene zu verlagern, denn auch der Straßentransport sei durch immer neue Auflagen und zum Teil katastrophale Infrastrukturen kein Vergnügen. „Der Anteil der Schiene muss steigen. Jetzt ist mehr gefragt als nur Symbolpolitik“, so Carsten Taucke. Dazu schlug er vor, Gleisanschlüsse verstärkt zu fördern, Güterverkehrszentren und Industriegebiete an die Bahn anzuschließen und Nachteile des Schienengüterverkehrs bei der Verkehrslenkung abzubauen.

Die große Bedeutung des Einzelwagenverkehrs für die Schiene betonte Sigrid Nikutta, Vorstandsvorsitzende der DB Cargo. „Der Einzelwagenverkehr hat zu Unrecht lange Zeit ein Schattendasein geführt. Er ist essenziell, aber durch die hohen Fixkosten noch längst nicht kostendeckend.“ Mit 12.000 Zügen pro Woche und 2.000 bedienten Gleisanschlüssen hält der Einzelwagen 18 Prozent Anteil am gesamten Schienengüterverkehr. „Damit ersetzt er täglich rund 25.000 Lkw-Fahrten“, so Sigrid Nikutta. „Nur mit einem starken Einzelwagen lassen sich ein Modal Split von 25 Prozent und damit die Klimaziele erreichen.“ Deshalb müsse er unterstützt und durch schnelle Direktverbindungen im Nachtsprung gezielt weiterentwickelt werden. Größtes Wachstumspotenzial in Europa bescheinigt die Vorstandsvorsitzende darüber hinaus dem kombinierten Verkehr. 3.000 Züge würden pro Woche allein für DB Cargo fahren. Das alles zeige, wie existenziell der Schienengüterverkehr für Deutschland und Europa sei. Sigrid Nikutta: „Die Schiene ist dramatisch unterschätzt – das liegt aber auch an uns als Branche, weil wir zu wenig Werbung und Lobbying für die Schiene machen.“ Das müsse man ändern.

Aus Nordhorn zugeschaltet: Joachim Berends, VDV-Vizepräsident und Chef der Bentheimer Eisenbahn
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