Unterwegs im Netz
Busse und Bahnen proben eine autonome Zukunft
In der Diskussion um die Verkehrswende beflügelt die Vorstellung vom „autonomen Fahren” per Elektromobil die Fantasien. Auch die Verkehrsunternehmen loten die Möglichkeiten einer fahrerlosen Mobilität aus. Wunsch und Wirklichkeit liegen noch weit auseinander, doch Experten sehen neue Perspektiven für den ÖPNV.
Aller Anfang ist schwer. Der kleine weiße Bus, verziert mit dem roten Logo der Stadtwerke Osnabrück, muss erst einmal auf dem Stadtwerke-Gelände fernab vom Straßenverkehr üben und seine technische Zuverlässigkeit unter Beweis stellen. Gelingt ihm dies, ist er der Protagonist des Projektes „Hub Chain“ in der niedersächsischen Bischofsstadt: Auf einem Rundkurs in einem Vorort wird er dann erstmals im öffentlichen Straßenraum „on demand”, also auf Bestellung per App, Fahrgäste einladen und zur Endhaltestelle einer Buslinie bringen, mit garantiertem Anschluss.
Schon im Einsatz ist sein kleiner Bruder im Gelb der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in einem fast schon öffentlichen Straßenraum, dem verkehrsreichen Gelände des weitläufigen Klinik-Komplexes der Charité. Der lässt sich nicht durch Falschparker aus der Ruhe bringen. Im Gegenteil, er bleibt einfach stehen, wenn seine programmierte Strecke nicht frei ist. Fürs Umfahren solcher Hindernisse braucht er dann menschliche Unterstützung. Stehen bleibt er auch schon mal bei Starkregen oder Hagel – einfach weil die Sensorik den Niederschlag als Hindernis ausmacht. Ein weiterer Kollege, ganz in Blau, ist auf einem Rundkurs im Sylter Inseldorf Keitum für die SVG Sylter Verkehrsgesellschaft ebenfalls on demand unterwegs. Wenn das Blätterdach der schmalen Alleen im Sommer dicht wird, verliert er schon mal die Orientierung, weil der suchende Blick zum Satelliten scheitert. In der Tat, aller Anfang ist schwer, längst nicht alles ist ausgefeilt.
Gleichwohl: Mehr als ein Dutzend solcher Versuche mit automatisch fahrenden – stets mit staatlicher Ausnahmegenehmigung und unter menschlicher Aufsicht stehenden – Minibussen gibt es mittlerweile bundesweit. Die Fachwelt spricht von „Robo Shuttles”. Es werden immer mehr, in Großstädten wie auf dem flachen Land. Zum Beispiel im Städtchen Monheim im Süden von Düsseldorf: Dort will der Verkehrsbetrieb BSM ab Herbst gleich eine komplette neue Linie zwischen Busbahnhof und Altstadt mit fünf autonomen Mini-E-Bussen des französischen Start-ups Easymile bedienen und sie im normalen Straßenverkehr mitschwimmen lassen – auf vorher festgelegter Strecke, sorgsam von Sensoren überwacht. Einen vergleichbar anspruchsvollen Test gibt es nirgendwo sonst in Europa.
In Potsdam fährt bereits eine Combino-Straßenbahn von Siemens autonom, ein Unikat weltweit. Ein Fahrer ist mit an Bord und überwacht alles. Die für Lokomotiven schon entwickelten Fahrer-Assistenzsysteme seien die technische Vorstufe für vollautomatisches Fahren, beschreibt Siemens-Fachmann Martin Walcher. Dem Begriff des autonomen Fahrens steht er eher zurückhaltend gegenüber – jedenfalls für den Schienenverkehr. Das Fahrzeug suche sich ja nicht autonom einen Weg. In der Erprobung ist ein dreistufiger Prozess: Das Fahrzeug muss zunächst durch ein umfassendes Scannen der Umgebung die Verkehrssituation erfassen, diese dann über lernende künstliche Intelligenz zutreffend bewerten und schließlich daraus angemessene Reaktionen ableiten. Das alles müsse noch wesentlich weiter erforscht werden, sagt Walcher. Als erste wirtschaftlich interessante Anwendungen der Automatisierung würden aber die Abläufe in den Betriebshöfen vorstellbar. Auch das wird bei den Verkehrsbetrieben Potsdam nun untersucht.
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Hinter den Ansätzen fahrerloser Mobilität steht häufig die ÖPNV-Branche. „Wir sind gut aufgestellt und werden uns wachsam weiter bewegen,” betont VDV-Technik-Geschäftsführer Martin Schmitz. „Die große Frage ist für uns: Können wir mit solchen Systemen Vorteile für unsere Fahrgäste erzielen?” Das wird wohl noch eine Weile dauern. Das ist zumindest eine erste Erkenntnis des vierten Zukunftskongresses der VDV-Akademie Ende Mai in Berlin. Thema: „Autonomes Fahren im öffentlichen Verkehr”. Interesse und Potenziale sind da. Aktuelle Planungen gehen davon aus, dass die Verkehrsunternehmen ihr Angebot durch automatisierte Fahrzeuge erweitern und insbesondere auf der ersten und letzten Meile einsetzen wollen. Martin Röhrleef, Stabsstelle Mobilitätsinnovation bei der Hannoverschen Üstra, hält das vollautomatische Fahren für eine Riesenchance: „Mit dem Kleinbus könnten wir im ganzen Netz einen Zehn-Minuten-Takt fahren.” Ohne zusätzliches, heute schon knappes Personal, ohne nächtliche Betriebsruhe. Zu jeder gewünschten Zeit, im Zusammenspiel mit autonomen Taxen und Car-Sharing dann auch als Baustein für komplette Reiseketten. Irgendwann einmal, stellt sich Röhrleef vor, kommt das Auto „auf Knopfdruck” fahrerlos vorgefahren, und dann fährt der Besteller selbst weiter.
Skepsis auch unter den Befürwortern
Das könnte Wirklichkeit werden, wenn das autonome Fahren technisch und rechtlich den „Level 5” erreicht. Das ist die Stufe, bei der dann wirklich überall und individuell Autos und Busse bewegt werden könnten. Die Akademie-Veranstaltung machte aber deutlich, dass es selbst unter kundigen Befürwortern der neuen Mobilität Skeptiker gibt, die diesen Schritt für so schnell nicht erreichbar halten. Denn schon in den Vorstufen ist der Aufwand gewaltig, um den sicheren Betrieb fahrerloser Fahrzeuge ohne jede menschliche Kontrolle aufrechtzuerhalten.
Neben der Fahrzeugtechnik geht es dabei auch um den Überwachungsaufwand in der Infrastruktur. Die bisherigen Mini-Busse fahren nicht wirklich individuell, sondern gewissermaßen auf einer elektronischen Schiene, einem fest gelegten Weg, der keine Abweichungen zulässt. Und für die Brennpunkte im Straßenverkehr ist ausgeklügelte Sensor-Technik mit Laser-Scannern und Radar notwendig, um den Bus ohne Fahrer sicher durchs Geschehen zu bekommen. In Hamburg zeigt etwa das Projekt „Heat”, wie komplex Aufgaben- und Fragestellungen sind: In der Hafencity soll eine autonome Linie mit mehreren Haltestellen demonstrieren, was möglich ist. Es ist schwierig, dahin zu kommen. Das Projekt wurde bereits erheblich abgespeckt und hat zum Ziel, zum internationalen Mobilitätskongress ITS präsentabel zu sein – also erst im Oktober 2021.
So sehen die Verkehrsunternehmen derzeit vor allem die Chance, zusätzliche Räume oder Tagesrandzeiten mit kleinen Robo Shuttles für den ÖPNV zu erschließen – für Stadtquartiere oder ländliche Regionen, für die der klassische Bus zu groß und damit zu teuer ist – Beispiel „Hub Chain” mit Osnabrücks „Hubi”. „On demand muss für uns ein Thema sein, sonst können wir den Laden irgendwann zumachen”, warnt Röhrleef die Kollegen. Sonst ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis branchenfremde Plattformen in das Geschäft einsteigen, wie im Hotel- und im Luftfahrt-Markt.
Klassisches Angebot weiter verbessern
Zudem müsse autonomer Kleinbus-Verkehr in jedem Fall ausgerichtet sein auf den „Hochleistungs-ÖPNV” mit Bussen und Bahnen, mit guten Umsteigebeziehungen. ÖPNV bleibt Rückgrat der Mobilität, war man sich in Berlin einig. Ihre größeren Busse und ihre Straßenbahnen werden die Verkehrsunternehmen sicherlich auch noch lange mit Fahrern besetzen. Und unabhängig von den derzeitigen Versuchen sollten Netzausbau und Qualitätssteigerung im klassischen Angebot uneingeschränkt weitergehen. Das bekräftigt auch Tobias Schönberg, Verkehrsberater von Roland Berger. Die beste Lösung für eine lebenswerte Stadt müsse der ÖPNV werden. In den Diskussionen der Veranstaltung wurde deutlich, dass die große Aufgabe für Kommunen und Aufgabenträger sein wird, die Weichen für eine neue klimafreundliche Mobilität zu stellen. Klar war in dem Kreis auch: Dazu ist nicht nur ein Ausbau des Bus- und Bahn-Angebots, sondern vor allem ein Abschied von der autogerechten Stadt notwendig. „Wir wollen niemand etwas wegnehmen, aber wir wollen etwas Besseres bieten als vorher”, wirbt Martin Röhrleef für den neuen ÖPNV. Michael Schreiner von der Straßenverkehrsbehörde München sieht das ganz nüchtern: „Wir müssen andere Städte bauen, Städte ohne Stellplätze.”