Sanfte Riesen
im Rangierbahnhof
Auf dem Weg zur klimaneutralen Eisenbahn stehen Betreiber und Industrie im Rangiergeschäft des Güterverkehrs vor Herausforderungen. Die Mitteldeutsche Eisenbahn (MEG) in Sachsen-Anhalt hat seit Jahren die Entwicklung von Hybridrangierloks mit Batterieantrieb und Dieselgenerator vorangetrieben – mit einigen Erfolgen, doch der vollständig emissionsfreie Betrieb ist noch Zukunftsmusik.
Wenn sich die dreiachsige, knallgelbe Rangierlok mit den roten Zierstreifen im Industriepark von Schkopau in Bewegung setzt, ist sie ein eher sanfter Riese: Der Motor brüllt nicht auf, aus dem Auspuffrohr kommen keine Rußfahnen. Stattdessen leistet sich der tonnenschwere Koloss nur ein leises Singen, wie wenn eine S-Bahn anfährt. Dr. Jürgen Sonntag, Geschäftsführer der Mitteldeutschen Eisenbahn GmbH (MEG) und Vorsitzender des VDV-Ausschusses Werk- und Industriebahnen, stellt es nicht ohne Stolz fest: „Mit diesen Loks fahren wir bereits 90 Prozent unseres Rangiergeschäfts elektrisch im Batteriebetrieb.“ Für die Antriebsenergie sorgt ein serienmäßiger Lkw-Dieselmotor. Allerdings treibt er nicht die Maschine an, sondern lädt als Generator die Batterie auf, damit die Lok weiter elektrisch im Einsatz sein kann. Voll automatisch vom Rechner gesteuert, springt das Aggregat nur an, wenn die Batterieladung einen unteren Grenzwert erreicht. Aber auch dann ist er nicht lautstark, sondern meldet sich mit einem mäßigen Dauerton, der in den Fahrgeräuschen des Rangierbetriebes kaum auffällt.
Dabei ist die Abgas-Entwicklung bescheiden, ebenso wie die eigentlichen CO2-Emissionen. Die MEG, die zu 80 Prozent eine Konzerntochter von DB Cargo ist und mit 20 Prozent den Logistiker und Waggonvermieter VTG als zweiten Gesellschafter hat, führt seit mehr als einem Jahrzehnt genau Buch über Betriebsstunden, Motorstunden und Dieselverbrauch ihrer Rangierlokflotte. Alte Schätzchen gibt es da nur bedingt, denn auch die älteren Maschinen haben bereits Remotorisierungen und weitere Modernisierungen hinter sich. Die sparsamen und sauberen Stars sind aber die Hybridloks. Ihre Motoren kommen bei vergleichbarem Arbeitseinsatz nur auf ein Viertel der Dieselmotorstunden der herkömmlichen Maschinen. Entsprechend verringert sich der Kraftstoffverbrauch im täglichen Betrieb spürbar. Beeindruckend damit auch die CO2-Einsparung: Durch den Einsatz der Hybridloks sank, so Jürgen Sonntag, die Emission im dokumentierten Zeitraum von 2010 bis 2021 um bis zu 15.000 Tonnen Treibhausgas. Das bedeute einen Rückgang der Emissionen um 40 Prozent. Hinzu kommt: Rangieren mit Elektroantrieb macht die Maschinen leise – und die Arbeit angenehmer.
Werkbahn-Dienstleister für die Industrie
Mit gut 320 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie 66 Lokomotiven für Strecken- und Rangierdienste an vier Standorten in Sachsen-Anhalt ist die MEG, so ihr Chef, als „klassischer Mittelständler“ ein Dienstleister für Werkbahnen und Bahnbetreiber. Neben Güterzugverkehr deutschlandweit mit rund 25 Streckenloks ist die Betreuung von großen Industriekunden aus der Chemie-, Kraftwerks- und der Baubranche auf den Werksbahnen mit über hundert Kilometern Gleisanlagen das Kerngeschäft – mit Sitz am Standort der früheren Buna-Werke in Schkopau vor den Toren der Stadt Halle. Hausherr ist hier heute der US-Konzern Dow Chemical.
2010 nahm die MEG als erste Güterbahn weltweit eine Hybridlok in Betrieb. Sie kam, wie das Dutzend Nachfolger, gewissermaßen aus der Nachbarschaft – gebaut in Stendal im Norden von Sachsen-Anhalt. Dort hatte der Bahntechnik-Riese Alstom in einem ehemaligen Bahn-Ausbesserungswerk ein paar Jahre zuvor mit der Modernisierung alter Dieselloks der Baureihen V 60 und V 100 aus den Beständen der ehemaligen DDR-Reichsbahn und der Deutschen Bundesbahn ein sehr spezielles Geschäft begonnen. Mit der „Prima H1“ entstand die erste Hybridrangierlokomotive aus einer V 100. „Die Idee, die Hybridtechnologie auf die Lauf- und Bremstechnik einer zugelassenen Lok-Baureihe aufzusetzen, schien eine praktikable, zudem günstige Lösung zu sein“, erinnert sich Jürgen Sonntag. In den Folgejahren entwickelte der französische Konzern, der im deutschen Schienennahverkehr mit seinen in Salzgitter gebauten Triebwagen eine starke Präsenz hat, mit der „H3“ einen kompletten Hybridneubau. Nachdem die MEG sechs Exemplare der H1 gekauft hatte, sind inzwischen auch fünf H3-Loks im Einsatz. Sie sind vom Hersteller gemietet, sollen aber nach Ablauf der Mietverträge ebenfalls erworben werden. Von Schkopau aus ist die Flotte auch an den Standorten Böhlen südlich von Leipzig und Rüdersdorf östlich von Berlin unterwegs.
Abschied vom Diesel noch in weiter Ferne
„Im Nachhinein lässt sich sagen, dass wir mit der Ausrichtung auf die Hybridtechnologie vieles richtig gemacht haben“, ist der mitteldeutsche Bahnchef überzeugt. Trotz der um 20 bis 25 Prozent höheren Beschaffungskosten lohne sich die Investition angesichts der steigenden Dieselkraftstoffpreise und den überzeugenden Umweltvorteilen allemal. Anlass, sich entspannt zurückzulehnen, sieht Jürgen Sonntag gleichwohl nicht. „Die Elektromobilität ist damit auch in unserem Bereich angekommen. Nun lohnt es sich aber, an der Hybridtechnologie weiter zu arbeiten“, sagt er mit einer gewissen Ungeduld. Vor allem in die Batterieentwicklung sollte „massive Kraft“ gesteckt werden: „Was heute an elektrischen Speichern verbaut wird, ist noch ein gutes Stück von der klimaneutralen Zukunft entfernt.“ Und weit weg ist damit auch der endgültige Abschied vom Dieselmotor mit seinen Emissionen. Er bleibe unverzichtbar, solange sich die Energiedichte der Batterien „nicht signifikant erhöht“.
Doch an der konstruktiven Weiterentwicklung fehlt es nach den Beobachtungen des Hybridpioniers allenthalben. Die Technologien sind nicht ausgereift, es gibt immer wieder kostspielige Ausfälle, Störungen und Probleme mit Ersatzteil-Lieferungen. Ein entscheidendes Handicap: Die im Schienenfahrzeugbau gegenüber dem Straßensektor nur kleinen Stückzahlen in der Fertigung würden die Investitionsbereitschaft der Industrie in den Bahnmarkt klein halten. So ist Alstom nach wie vor einer der wenigen Hersteller, der sich der Hybridtechnologie widmet. Und bei den Batterien, wo sich Sonntag besonders die erforderlichen Innovationen erhofft, gibt es mit der Traditionsfirma Hoppecke ebenfalls nur einen Anbieter im Bereich Schienenfahrzeuge: „Der fehlende Wettbewerb bringt naturgemäß die Technologie nicht voran.“ Und von der Politik würde er sich „für eine bessere Marktdurchdringung“ zwei Dinge wünschen: „Erstens eine gezielte Förderpolitik, die nicht nur Technologie-Entwicklungen finanziert, sondern Bahnbetreiber bei den erhöhten Betriebskosten unterstützt. Und zweitens: weniger Bürokratie bei der praktischen Umsetzung.“