„Die nächsten drei Jahre werden wichtig“
Digitalisierung, alternative Antriebe, automatisiertes Fahren, flexible Bedienformen: Der technologische Wandel in der Verkehrsbranche hat Fahrt aufgenommen und vollzieht sich schnell. Das VDV-Industrieforum begleitet diesen Wandel und bringt Standards auf den Weg – eine Plattform für den Austausch zwischen Herstellern, Verkehrsunternehmen, VDV und der Politik. „VDV Das Magazin“ sprach mit Rudi Kuchta (Foto). Er ist Vorsitzender des VDV-Industrieforums und leitet als Senior Vice President unter anderem die Bussparte bei MAN Truck & Bus.
Herr Kuchta, die Pandemie hat die Wirtschaft noch fest im Griff. Wie ist die Lage in Ihrem Unternehmen?
» Rudi Kuchta: Corona zeigt auch bei uns spürbare Auswirkungen. Unsere Produktion war rund sechs Wochen geschlossen. In dieser Zeit hatten wir auch eine stark rückläufige Nachfrage bei Lkw und Bussen. Unabhängig davon und weil die Verkehrsunternehmen ihre Flotten ausbauen sowie modernisieren, liegen die Produktionszahlen bei den Stadtbussen seit zwei Jahren auf hohem Niveau. Das werden wir bis vermutlich 2022 halten. Während die Investitionen in den ÖPNV auf gutem Niveau hochlaufen, ist jetzt jedoch der Markt für Reisebusse massiv eingebrochen.
Inwiefern wird die Coronakrise den Markt insgesamt verändern – auch für die Mitglieder des VDV-Industrieforums?
» Ich glaube, dass uns die aktuelle Krise dazu bringt, den strukturellen Wandel in der Nutzfahrzeugindustrie, der vor Corona eingesetzt hat, noch stärker zu forcieren – also die zunehmende Ausrichtung auf die Megatrends Digitalisierung, alternative Antriebe sowie automatisiertes Fahren und die dafür notwendigen Weichenstellungen in den Unternehmen.
Die Politik hat Wort gehalten und ein milliardenschweres Konjunkturprogramm geschnürt. Was versprechen Sie sich davon?
» Das Konjunkturpaket ist ein guter und richtiger Schritt. Wir hoffen, dass die Konjunktur damit weiterläuft, und müssen jetzt wissen, wann und wie das Geld aufgeteilt wird. Nur so können beispielsweise die Städte schnell ihre Investitionen in Richtung mehr ÖPNV lenken.
Wie können die Hersteller dazu beitragen, den ÖPNV coronasicherer zu machen und so das Vertrauen der Fahrgäste zurückzugewinnen?
» Um etwa den Arbeitsplatz von Busfahrerinnen und Busfahrern sicherer zu machen, gibt es serienmäßige Abtrennungen. Für die Fahrgäste können wir unseren Beitrag leisten, indem wir die Innenräume von Bussen und Bahnen großzügiger gestalten und die Belüftung weiter verbessern – etwa die Luftfiltersysteme. Zu überlegen wäre auch, wie Haltestangen und -griffe designt werden können, um sie einfacher und wirtschaftlicher reinigen zu können und hygienischer zu machen. Das muss dann aber wirklich wirken und darf kein Marketing-Gag sein. Die wichtigste Maßnahme, um in Bussen und Bahnen den Abstand zwischen den Fahrgästen speziell in der Rushhour zu vergrößern und damit die Sicherheit zu erhöhen, hat die Industrie allerdings nicht in der Hand: mehr Busse und Bahnen sowie dichtere Takte.
Zwar beherrscht im Moment die Coronakrise die Branche, die Verkehrswende ist aber nicht abgesagt. Welche Lösungen und Konzepte der Hersteller werden Ihrer Meinung nach der Verkehrswende zum Durchbruch verhelfen?
» Wir befassen uns schon jetzt mit dem ÖPNV der Zukunft über das Jahr 2028 hinaus. Flexible Mobilitätskonzepte, Digitalisierung und Konnektivität spielen dabei eine Rolle – also die digitale Vernetzung der Fahrzeuge untereinander. Das könnte beispielsweise Platooning ermöglichen: Kleinere Fahrzeuge könnten auf bestimmten Abschnitten hintereinander aufgereiht automatisiert fahren. Bei den Antrieben setzen wir bei MAN Truck & Bus unter anderem darauf, den Batteriebetrieb möglichst bald auf Reichweiten von bis zu 300 Kilometern auszubauen – und das bei eingeschalteter Heizung beziehungsweise Klimaanlage. Das würde für einen Großteil, und zwar für bis zu 90 Prozent der Linien im Stadtverkehr, reichen. Bei höheren Reichweiten und längeren Strecken jenseits der 300 Kilometer ist es sinnvoll, über weitere Optionen wie zum Beispiel den Brennstoffzellenantrieb nachzudenken.
Was sind die weiteren Themen für die nächsten Jahre? Wofür setzt sich das VDV-Industrieforum ein?
» Bei unserem nächsten Treffen im September wird es natürlich um Covid-19 und die Zeit danach gehen. Weitere Themen sind der technische Wandel zu mehr Digitalisierung und die Reduktion von CO2. Aktuell bewegt uns etwa auch die Frage, wie Busdepots für alternative Antriebe wie Elektromobilität umgerüstet werden müssen. Nicht nur bei den Antrieben wird sich der technische Wandel schnell vollziehen. Im Industrieforum besprechen wir aktuelle Entwicklungen sowie die Anforderungen an neue Systeme und Schnittstellen. Dabei legen wir auch Regularien fest. Zudem bereiten wir vor, mit welchen Forderungen wir an die Politik gehen und wie Förderungen ausgeschrieben werden können. Mit Blick auf den tiefgreifenden technischen Wandel und die anstehenden Investitionen werden die nächsten drei Jahre wichtig.
Plattform für Partner aus der Industrie
Das VDV-Industrieforum zählt aktuell 33 Mitglieder. Es versteht sich als Plattform von Unternehmen aus unterschiedlichen Bereichen der Industrie – darunter Busse, Bahnen, Zulieferer und IT. Das Forum dient dem Austausch zwischen den Herstellern untereinander und mit dem VDV. Technische Entwicklungen werden diskutiert und Anforderungen an Systeme und Komponenten erarbeitet – mit dem Ziel, Schnittstellen zu spezifizieren, Märkte zu öffnen und den Wettbewerb zu fördern. Das heutige VDV-Industrieforum ging 2013 aus dem VDV-Förderkreis e. V. hervor, der seinerseits im Jahr 1996 vom VDV und ihm nahestehenden Unternehmen gegründet wurde. Zusammen mit dem VDV veröffentlicht das Industrieforum die Reihe „Blaue Bücher“, die anhand von zahlreichen Beispielen die Innovations- und Leistungsfähigkeit des öffentlichen Personenverkehrs, des Schienengüterverkehrs und der zugehörigen Unternehmen veranschaulicht.
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