„Reichweite, Reichweite, Reichweite“
Nur noch neun Jahre bleiben, um die Luftreinhaltungs- und Klimaschutzziele im Verkehrssektor durch eine Mobilitätswende zu erreichen und Milliardenstrafen seitens der EU zu vermeiden. Schnelle Ergebnisse kann nur der Bus liefern – mit batterieelektrischem Antrieb oder mit Wasserstoffbrennstoffzelle. Wie das gelingen kann, war unter anderem Thema auf der digitalen VDV-Elektrobuskonferenz.
Die VDV-Elektrobuskonferenz war gerade eröffnet worden, als zeitgleich vom Umweltbundesamt eine eigentlich gute Nachricht verkündet wurde: Deutschland hat sein für 2020 gestecktes Klimaziel erreicht. Sogar der Verkehrssektor hat deutlich weniger CO2 ausgestoßen – minus 11,4 Prozent gegenüber 2019. So richtig gefreut hat sich darüber trotzdem kaum jemand der 500 Teilnehmenden. Denn der Grund dafür liegt zwar auch in ersten Auswirkungen von verkehrspolitischen Maßnahmen, vor allem jedoch in Sondereffekten der Pandemie. „Es ist niemandem geholfen, wenn Busse und Bahnen halbleer durchs Land fahren und die Leute wieder vermehrt umsteigen aufs Auto“, brachte es Cem Özdemir (Grüne) auf den Punkt. Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag rief in Erinnerung, dass es auf den Klimaschutz und strukturelle Veränderungen im Verkehrsbereich ankomme: „Wir brauchen die Verkehrswende, und die Verkehrswende ist nichts anderes als ein wichtiger Teil der dringenden Modernisierung unseres Landes.“
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Angesichts langer Planungsvorläufe beim Ausbau von Schienenstrecken ist für VDV-Präsident Ingo Wortmann klar, welches Verkehrsmittel für die Mobilitätswende zunächst der Hoffnungsträger und Problemlöser Nummer eins ist: „Einen Großteil zur Lösung der Klimakrise muss in diesem Jahrzehnt der Bus liefern.“ Von daher sei es „entscheidend, dass wir den Elektrobus voranbringen.“ Aber auch das gesamte, bereits jetzt klimaschonende Verkehrssystem Bus müsse ausgebaut und neue Kapazitäten geschaffen werden. „Sonst werden wir die Menschen nicht überzeugen können, vom Auto auf den Bus umzusteigen.“
18.000 E-Busse notwendig
Wie dabei die betriebswirtschaftliche Seite aussieht und welche Fördermittel notwendig sind, verdeutlicht die Studie „Jahrzehnt des Busses“, die der VDV bei der Unternehmensberatung PWC in Auftrag gegeben hat. Damit der ÖPNV bis 2030 seinen Beitrag für das Erreichen der Klimaschutzziele leisten kann, sind zusätzliche Investitionen von 1,8 Milliarden Euro notwendig. Durch die Mobilitätswende würde sich demnach der Zuschussbedarf im Busverkehr auf 3,6 Milliarden Euro verdoppeln. Um die Klimaschutzziele bis 2030 zu erreichen, sind insgesamt 18.000 E-Busse nötig. Wortmann sprach sich dagegen aus, die Kosten der Mobilitätswende und der Corona-Folgen auf die Fahrgäste abzuwälzen: „Deswegen sind wir auf öffentliche Mittel angewiesen.“
Qualität hat sich verbessert
Beim Thema E-Busse sei die Branche auf einem guten Weg. „Mittlerweile haben wir sehr gute Produkte der Industrie“, lobte der VDV-Präsident. Aber es gebe noch Probleme zu lösen. In Anlehnung an das Immobilienmakler-Credo „Lage, Lage, Lage“ sei beim Elektrobus „Reichweite, Reichweite, Reichweite“ das Entscheidende. Deswegen benötigt die Branche reichweitenstarke Busse oder technische Hilfen, Reichweiten zu verbessern, wie das Nachladen der Batterien von O-Bussen unter Oberleitungen. Andernfalls werden mehr E-Busse und Fahrpersonal benötigt – und das wiederum würde das derzeit kostengünstigste Verkehrsmittel im ÖPNV verteuern.
Zulassungszahlen gehen dynamisch nach oben
Unterdessen ist auch im ÖPNV der Hochlauf der Elektromobilität mit Batterie- und Wasserstoffantrieb vielerorts schon sichtbar. Von derzeit 36.000 Linienbussen ziehen 1.000 ihre Antriebsenergie ausschließlich aus einer Batterie, Brennstoffzelle oder Oberleitung und rollen lärm- und emissionsarm über Deutschlands Straßen. Die Zulassungszahlen von batterieelektrisch und per Brennstoffzelle angetriebenen Bussen entwickeln sich weiter dynamisch, berichtete Kurt-Christoph von Knobelsdorff, Geschäftsführer der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW) – eine Gesellschaft des Bundes, die nachhaltige Mobilität gestaltet und unterstützt, indem sie Förderprogramme koordiniert sowie Technologieentwicklung begleitet. Lag nach Angaben des Kraftfahrtbundesamtes der Bestand Anfang 2020 bei 385 Batterie- und bei 24 Brennstoffzellenbussen, haben sich diese Zahlen bis Anfang 2021 nahezu verdoppelt. Weitere 300 Fahrzeuge sind in Förderprogrammen bewilligt.
Das Berliner Hotel Estrel war Schauplatz der Live-Bühne und Sitz der Konferenz-Regie.
„Bei der Flottenerneuerung ist der Anfang gemacht, aber es muss noch deutlich mehr passieren“, sagte Dr. Tamara Zieschang, Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Immerhin wohnt dem Anfang eine deutliche Dynamik inne. Von der nationalen Umsetzung der Clean Vehicles Directive (CVD), die die Anschaffung von sauberen beziehungsweise lokal emissionsfreien Fahrzeugen regelt und deren Umsetzung sich derzeit im parlamentarischen Verfahren befindet, erwartet die Staatssekretärin zusätzlichen Schwung. 80 Prozent der Mehrkosten von alternativ angetriebenen Fahrzeugen fördert der Bund technologieoffen. Für das zweite Quartal hofft Tamara Zieschang auf eine positive Rückmeldung aus Brüssel zu der von der Branche händeringend erwarteten neuen Busförderrichtlinie, die bis 2024 einen Umfang von 1,25 Milliarden Euro hat.
Bei der Umsetzung der CVD-Richtlinie sieht der VDV als Branchenverband aktuell Nachbesserungsbedarf. VDV-Vizepräsident Werner Overkamp betonte, wie wichtig eine nationale Beschaffungsquote sowie angepasste Förderungen bei der ÖPNV-Finanzierung seien. „Geben Sie sich einen Ruck, dass die Branchenlösung, die wir skizziert haben, so verabschiedet wird“, appellierte er an die Bundespolitik. Nach derzeitigem Stand würde die Umsetzung der CVD vor allem kleine Verkehrsunternehmen betriebswirtschaftlich und organisatorisch überfordern.
Dass die Elektrifizierung der Busflotten bis Ende der 2020er-Jahre abgeschlossen sein kann, hatte Tamara Zieschangs Kollege aus dem Bundesumweltministerium, Jochen Flasbarth, schon im Vorjahr auf der VDV-E-Buskonferenz gesagt. Jetzt bekräftigte der Staatssekretär: „Ich glaube immer fester daran. Und ich glaube, dass das in vielen Verkehrsunternehmen schon deutlich vorher sein wird.“ So werde der ÖPNV attraktiver. „Wir brauchen nicht nur mehr Elektro-ÖPNV, sondern wir brauchen insgesamt mehr ÖPNV – mit einer höheren Qualität und einer höheren Quantität.“ Sobald die Elektrifizierung des Busverkehrs zum Alltagsgeschäft gehöre, ergebe eine weitere Förderung keinen Sinn mehr. „Aber wir bleiben an Ihrer Seite“, betonte Jochen Flasbarth und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass bei einer weiteren Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) die Umlage für den öffentlichen Verkehr ganz abgeschafft werde.
In den kommenden Jahren werden in Europa die Kapazitäten bei der Batterieproduktion deutlich ausgeweitet. Die EU-Kommission geht davon aus, dass bis 2030 etwa ein Drittel der weltweiten Batterieproduktion aus Deutschland kommen wird. „Das ist aus industriepolitischer Sicht eine sehr gute Nachricht“, sagte Prof. Dirk Uwe Sauer vom Institut für Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe an der RWTH Aachen. Gleichzeitig entwickelt sich die Technologie weiter, während die Kosten sinken. Je nach Fahrzeugtyp, Batteriekapazität, Fahrverhalten und äußeren Bedingungen liegen die Reichweiten zwischen 200 und 270 Kilometern – passend für viele Anwendungen im Alltag.
Elektromobilität - eine Frage der Infrastruktur
Beim Thema E-Bus geht es jedoch nicht nur um Fahrzeuge, sondern auch um Personalqualifizierung, neue Abläufe und eine gesamte Infrastruktur, die mitgeplant werden muss. Dazu zählen die Ladestellen sowie eine IT, die den Verkehrsunternehmen unter anderem dabei hilft, die Umläufe ihrer Elektrofahrzeuge und die Ladezyklen zu planen, und die die Stromverbräuche auf den unterschiedlichen Linien abbildet. Mit der zunehmenden Verbreitung von Bussen mit Batterien und Brennstoffzellen wurden bei der diesjährigen Konferenz neben technischen Fragen zu Fahrzeugen, der Gestaltung von Betriebshöfen, der Ladeinfrastruktur und der Reichweite auch Themen wie Brandschutz und Versicherungen erörtert.
Erstmalig fanden die VDV-E-Buskonferenz und die begleitende Fachmesse ElekBu digital statt. „Wir haben uns entschieden, die E-Buskonferenz durchzuführen, um in diesem besonderen Jahr der Umsetzung der Clean Vehicles Directive das Thema Elektrobusse zu diskutieren und Informationen bereitzustellen“, erläuterte Martin Schmitz, Geschäftsführer Technik beim VDV: „Unser Mut wurde belohnt: Eine Konferenz mit virtueller Messe ist durchführbar.“ Neben den 500 Teilnehmenden aus 19 Ländern waren 50 Aussteller dabei. Unter den Ausstellern waren elf Bushersteller mit 23 batterieelektrischen oder wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen vertreten. Nach den Absagen der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover und der „Busworld“ in Brüssel wird die VDV-E-Buskonferenz die einzige größere Busveranstaltung in diesem Jahr bleiben.
Die nächste VDV-E-Buskonferenz ist für den 2. und 3. März 2022 geplant – dann, so war von Veranstaltern, Vortragenden und Ausstellern mehrfach zu hören, „hoffentlich wieder als Präsenzveranstaltung in Berlin“.