Innovationen
14.10.2020

Ein Rahmen für
die Autonomen

Besseres Angebot, weniger Schadstoffe, weniger Flächenverbrauch, weniger Unfälle: Diese Hoffnungen werden an selbstfahrende Verkehrsmittel geknüpft. Ohne intelligente Regulierung können autonome Fahrzeuge jedoch unerwünschte Nebeneffekte mit sich bringen – in Form neuer Verkehre, zusätzlichen Platzbedarfs und Gestaltungsproblemen bei den Kommunen. Derzeit arbeitet die Bundesregierung an einer Novelle des Straßenverkehrsgesetzes und der Straßenverkehrsordnung – und damit an einer einheitlichen Regelung für das autonome Fahren.


Autonomes Fahren bietet die Chance, neue öffentliche Mobilitätsangebote dort zu schaffen, wo sie derzeit noch fehlen oder wo sie sich momentan nicht rechnen. Die ursprünglich für die Automobilindustrie geplante Revolution bringt auch zusehends disruptives Potenzial für den öffentlichen Verkehr mit sich. Während es beim Thema Automatisierung und Vernetzung lange Zeit beispielsweise um Assistenzsysteme für Autos ging, verfolgte die Verkehrsbranche bei dieser Entwicklung ihren eigenen Ansatz – und hat einem passenderen, öffentlichen Mobilitätsansatz zum autonomen Fahren den Weg geebnet.



Gruppenbild mit Emma² (v. l. n. r.): Marie-Theres Wölki (VDV Südwest), Daniela Schmitt (Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau, Rheinland-Pfalz), Steffen Bilger (BMVI) und Dr. Thorsten Bieker (VDV Südwest) am Rande des Symposiums zum autonomen Fahren in Ludwigshafen

Ihre Stärken können die vollautomatischen und fahrerlosen Verkehrsträger beispielsweise in Wohngebieten und in den Vorstädten als Zubringer im Linienbetrieb ausspielen. Auf bundesweit mehr als 40 digitalen Testfeldern erproben Verkehrsunternehmen zusammen mit Partnern aus Industrie und Forschung die neue Technologie. Bisher immer an Bord der Testfahrzeuge: Personal, das notfalls eingreifen kann. Genehmigt wurden die Pilotprojekte bislang auf der Basis von Einzelbetriebserlaubnissen und Ausnahmeregelungen. „Aus verkehrlicher Sicht sind die bisherigen Versuche noch sehr eingeschränkt, da sie sehr langsam und eigentlich nur assistiert mit dem Mensch als Rückfallebene funktionieren. Neben der notwendigen technischen Entwicklung liegt aktuell das Problem auch im Straßenverkehrs- und Zulassungsrecht, welches fahrerloses Fahren noch für unzulässig hält“, erklärt Martin Schmitz, Geschäftsführer Technik beim VDV. Derzeit arbeitet die Bundesregierung an einer Novelle des Straßenverkehrsgesetzes und der Straßenverkehrsordnung – und damit an einem einheitlichen Rechtsrahmen. Mit dem Regelungsvorhaben „Autonomes Fahren in festgelegten Betriebsbereichen“ ist auch die Umsetzung von fahrerlosen Mobilitätskonzepten verbunden. „Die Regulierung des autonomen Fahrens in diesen festgelegten Bereichen wie auf automatisierten Betriebshöfen, bei der fahrerlosen Bedienung der letzten Meile oder in Wohnquartieren wird einen weiteren Meilenstein für die Innovations- und Zukunftsfähigkeit Deutschlands bedeuten“, ist sich Martin Schmitz sicher. Der VDV erstellt als Branchenverband dazu ein Positionspapier mit Vorschlägen für eine künftige Regulierung.

Neben der notwendigen technischen Entwicklung liegt aktuell das Problem auch im Straßenverkehrs- und Zulassungsrecht, welches fahrerloses Fahren noch für unzulässig hält.

Martin Schmitz,
Geschäftsführer Technik beim VDV

Thema aus Sicht des Nahverkehrs denken

Für einen konstruktiven Willen zur Regelung und mehr Mut zu Pilotprojekten, um die Verkehrswende einzuleiten und die Klimaschutzziele zu erreichen, warb der VDV auch auf einem Symposium zum autonomen Fahren. Eingeladen hatte die VDV-Landesgruppe Südwest. „Autonomes Fahren muss vom Zentrum des Umweltverbundes – dem öffentlichen Nahverkehr – her gedacht werden“, sagte der Landesgruppenvorsitzende Uwe Hiltmann. Den Verkehrsunternehmen und den Kommunen komme damit eine gestaltende und steuernde Rolle zu. Auf der Veranstaltung, die unter der Schirmherrschaft des rheinland-pfälzischen Verkehrsministers Dr. Volker Wissing stand, wurde mehrfach betont, was das autonome Fahren für die öffentliche Mobilität und die Logistik von morgen leisten könne – wenn es in eine weitreichende Mobilitätsstrategie eingebettet ist. „Die Automatisierung des Straßenverkehrs eröffnet neue Möglichkeiten, den Anforderungen nach Mobilität mit höherem Komfort, mehr Flexibilität und perspektivisch vor allem auch mehr Sicherheit bei geringeren Kosten gerecht zu werden“, sagte die rheinland-pfälzische Wirtschaftsstaatssekretärin Daniela Schmitt. Steffen Bilger, parlamentarischer Staatssekretär im BMVI, erläuterte, dass sein Ministerium die Entwicklung und Erforschung des autonomen Fahrens mit Fördergeldern vorantreibe. Deutschland sei ein Hochtechnologieland und bei den Entwicklungen im Bereich der autonomen Mobilität und der dafür notwendigen digitalen Infrastruktur bereits weit vorne.
Auch das neueste Förderprojekt des Landes Rheinland-Pfalz war auf dem Symposium vertreten. Mit „Emma²“ konnten die Teilnehmenden eine autonome Runde auf dem Ludwigshafener Theaterplatz drehen. Seit Ende September fährt der Shuttle auf dem Gelände der Mainzer Universität. Zudem wurde im Bereich Logistik in den vergangenen Jahren viel Entwicklungsarbeit geleistet. BASF hat unter anderem mit vollautomatischen Förderfahrzeugen die Logistik am Standort Ludwigshafen optimiert – eine Weltneuheit, die gemeinsam mit der VDL-Gruppe entwickelt worden ist.

Das Positionspapier des VDV finden Sie hier:
www.vdv.de/autonomesFahren

Eine Deutschlandkarte mit den autonomen

Shuttle-Bus-Projekte im ÖPNV finden Sie unter:
www.vdv.de/innovationslandkarte.aspx

Drei Fragen an

Über die Anforderungen an einen Rechtsrahmen für das autonome Fahren sprach „VDV Das Magazin“ mit Emanuele Leonetti (Foto), wissenschaftlicher Mitarbeiter beim VDV.

Herr Leonetti, für das autonome Fahren haben die technischen Dienste und die Länder in den vergangenen Monaten eine erste Genehmigungspraxis entwickelt, aber es gibt noch keinen echten Regelbetrieb. Woran liegt das?
» Emanuele Leonetti: Für fahrerlose und vollautomatisierte Fahrzeuge fehlt es an harmonisierten Genehmigungs- und Zulassungsvorschriften. Das stellt die Betreiber und die Behörden bei jedem Projekt vor neue große Herausforderungen. Benötigt wird ein Rechtsrahmen, der innovativ ist und zudem den Betreibern und vor allem den Behörden ausreichend Planungs- und Rechtssicherheit gibt. Automatisiert geht schon vieles, doch gerade für den Ausbau öffentlicher Nahverkehrsangebote in betriebswirtschaftlich „schwierigen“ Szenarien muss es auch fahrerlos gehen – und genau dieses sogenannte fahrerlose Fahren ist noch nicht zulässig. Deswegen fordern wir eine sichere, fahrerlose Automatisierungsstufe für den öffentlichen Verkehr.

Wie könnte eine Lösung aussehen?
» Beispielsweise müssen die Anforderungen, wie fahrerlose Systeme gestaltet und betrieben werden sollen, verbindlich definiert werden. Zudem sollte das Genehmigungs-Know-how zentralisiert werden. Bis wir auf europäischer Ebene so weit sind, brauchen wir eine nationale Lösung, um autonomes Fahren zuzulassen. Wir können uns hierbei eine Art gestufte nationale Rahmengesetzgebung vorstellen: Für Kraftfahrzeuge – auch Shuttles und Kleinbusse – mit autonomen Fahrfunktionen braucht es eine zentrale „Betriebserlaubnis“. Sprich, der Gesetzgeber muss verbindliche technische Mindestanforderungen an die Fahrzeuge und deren Funktionen stellen, auf deren Basis die Hersteller die Fahrzeuge dann in Verkehr bringen können. Der Hersteller definiert dann wiederum konkrete Vorgaben an den Betrieb, also die Einsatzparameter wie Geschwindigkeit und Umgebung. Schließlich sind die Länder gefordert, entsprechende Anwendungs- und Betriebsbereiche für den autonomen Betrieb festzusetzen – sei es auf bestimmten Autobahnabschnitten oder in urbanen Mischgebieten, beispielsweise wo bereits hochaktuelle und hochauflösende Karten des Betriebsgebiets existieren. Denn das beste Know-how über die lokalen Gegebenheiten besitzen die Länder, Kommunen und ihre Behörden. Deswegen brauchen auch sie entsprechende Instrumente, um den „autonomen Betrieb“ dann lokal zuzulassen.

Wie kann der öffentliche Verkehr zum Treiber der fahrerlosen Systeme werden?
» Voraussetzung ist, dass die neue Welt des autonomen Fahrens in die bestehende Welt des öffentlichen Verkehrs integriert wird. Die Verkehrsunternehmen verfügen über einen großen Erfahrungsschatz, was die betrieblichen Besonderheiten der Personenbeförderung und die Genehmigung von Pilotprojekten anbelangt. Und es gibt eine besondere Sicherheitsphilosophie. Beispielsweise haben die Unternehmen übergeordnete Leitsysteme, mit denen sie ihren Betrieb lenken und überwachen. Ein hierarchisch aufgebautes Verkehrsnetz mit Bahnen und Großraumbussen als Rückgrat, das von Kleinfahrzeugen ergänzt wird, kann den Verkehr sicherer, umweltfreundlicher und effizienter machen. Deshalb muss dem öffentlichen Verkehr im Verkehrssystem der Zukunft und bei der Integration neuer Mobilitätskonzepte eine zentrale Rolle zugedacht werden. Fahrerlos bedeutet übrigens nicht menschenlos. Es werden sich in einer automatisierten und vernetzten Verkehrswelt ganz neue Rollen- und Verantwortungsmodelle ergeben, verbunden mit vollständig neuen Berufsbildern – insbesondere für den ÖPNV.

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