Über die Anforderungen an einen Rechtsrahmen für das autonome Fahren sprach „VDV Das Magazin“ mit Emanuele Leonetti (Foto), wissenschaftlicher Mitarbeiter beim VDV.
Herr Leonetti, für das autonome Fahren haben die technischen Dienste und die Länder in den vergangenen Monaten eine erste Genehmigungspraxis entwickelt, aber es gibt noch keinen echten Regelbetrieb. Woran liegt das?
» Emanuele Leonetti: Für fahrerlose und vollautomatisierte Fahrzeuge fehlt es an harmonisierten Genehmigungs- und Zulassungsvorschriften. Das stellt die Betreiber und die Behörden bei jedem Projekt vor neue große Herausforderungen. Benötigt wird ein Rechtsrahmen, der innovativ ist und zudem den Betreibern und vor allem den Behörden ausreichend Planungs- und Rechtssicherheit gibt. Automatisiert geht schon vieles, doch gerade für den Ausbau öffentlicher Nahverkehrsangebote in betriebswirtschaftlich „schwierigen“ Szenarien muss es auch fahrerlos gehen – und genau dieses sogenannte fahrerlose Fahren ist noch nicht zulässig. Deswegen fordern wir eine sichere, fahrerlose Automatisierungsstufe für den öffentlichen Verkehr.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
» Beispielsweise müssen die Anforderungen, wie fahrerlose Systeme gestaltet und betrieben werden sollen, verbindlich definiert werden. Zudem sollte das Genehmigungs-Know-how zentralisiert werden. Bis wir auf europäischer Ebene so weit sind, brauchen wir eine nationale Lösung, um autonomes Fahren zuzulassen. Wir können uns hierbei eine Art gestufte nationale Rahmengesetzgebung vorstellen: Für Kraftfahrzeuge – auch Shuttles und Kleinbusse – mit autonomen Fahrfunktionen braucht es eine zentrale „Betriebserlaubnis“. Sprich, der Gesetzgeber muss verbindliche technische Mindestanforderungen an die Fahrzeuge und deren Funktionen stellen, auf deren Basis die Hersteller die Fahrzeuge dann in Verkehr bringen können. Der Hersteller definiert dann wiederum konkrete Vorgaben an den Betrieb, also die Einsatzparameter wie Geschwindigkeit und Umgebung. Schließlich sind die Länder gefordert, entsprechende Anwendungs- und Betriebsbereiche für den autonomen Betrieb festzusetzen – sei es auf bestimmten Autobahnabschnitten oder in urbanen Mischgebieten, beispielsweise wo bereits hochaktuelle und hochauflösende Karten des Betriebsgebiets existieren. Denn das beste Know-how über die lokalen Gegebenheiten besitzen die Länder, Kommunen und ihre Behörden. Deswegen brauchen auch sie entsprechende Instrumente, um den „autonomen Betrieb“ dann lokal zuzulassen.
Wie kann der öffentliche Verkehr zum Treiber der fahrerlosen Systeme werden?
» Voraussetzung ist, dass die neue Welt des autonomen Fahrens in die bestehende Welt des öffentlichen Verkehrs integriert wird. Die Verkehrsunternehmen verfügen über einen großen Erfahrungsschatz, was die betrieblichen Besonderheiten der Personenbeförderung und die Genehmigung von Pilotprojekten anbelangt. Und es gibt eine besondere Sicherheitsphilosophie. Beispielsweise haben die Unternehmen übergeordnete Leitsysteme, mit denen sie ihren Betrieb lenken und überwachen. Ein hierarchisch aufgebautes Verkehrsnetz mit Bahnen und Großraumbussen als Rückgrat, das von Kleinfahrzeugen ergänzt wird, kann den Verkehr sicherer, umweltfreundlicher und effizienter machen. Deshalb muss dem öffentlichen Verkehr im Verkehrssystem der Zukunft und bei der Integration neuer Mobilitätskonzepte eine zentrale Rolle zugedacht werden. Fahrerlos bedeutet übrigens nicht menschenlos. Es werden sich in einer automatisierten und vernetzten Verkehrswelt ganz neue Rollen- und Verantwortungsmodelle ergeben, verbunden mit vollständig neuen Berufsbildern – insbesondere für den ÖPNV.