Seit Beginn des Jahres ist Dr. Sigrid Nikutta bei der Deutschen Bahn „Vorstand Güterverkehr“ und als Vorstandsvorsitzende verantwortlich für DB Cargo. Zur aktuellen Lage des Güterverkehrs auf der Schiene und zu ihren Plänen beantwortete die ehemalige Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) die Fragen von „VDV Das Magazin“.
Frau Dr. Nikutta, zunächst eine persönliche Frage: Wie sieht unter den aktuellen Bedingungen Ihr Arbeitsalltag aus? Wie läuft das Management auf Distanz?
» Dr. Sigrid Nikutta: Ich bin nach wie vor gern nah am Ort des Geschehens und mache mir dort selbst ein Bild von der Lage. In den vergangenen Wochen habe ich zum Beispiel den Rangierbahnhof in Seddin oder den Rostocker Hafen besucht. Durch meine Doppelfunktion – Konzernvorstand und Chef von DB Cargo – habe ich Büros in Berlin und Mainz. Und das sind auch die Adressen, die ich auch jetzt in der Regel morgens ansteuere. „Management auf Distanz“ ist für uns bei DB Cargo Alltag, schließlich sind wir in 17 Ländern mit fast 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aktiv.
Die Corona-Pandemie setzt dem Schienengüterverkehr stark zu. Wie ist die Lage bei DB Cargo?
» Klar, auch wir spüren die Auswirkungen. Im Ganzzugverkehr haben wir starke Einbußen bei den Zügen von und zu den Automobilwerken und den Stahlfabriken. Dort wurde ja gar nicht mehr oder deutlich weniger produziert. Im Einzelwagenverkehr und im Kombinierten Verkehr sieht es hingegen erfreulicher aus, dort halten wir bis heute unser Netzwerk stabil. Allerdings hat sich dort die Auslastung deutlich verringert. Wir kompensieren das zum Teil mit Neuverkehren und gewinnen damit auch neue Kunden für die umweltfreundliche Schiene.
Ihre Botschaft lautet: „Wir fahren alles.“ Vereinzelte Neuverkehre wie Lebensmittel aus Italien und Hygieneartikel stehen eingebrochenen Volumina der Industrie gegenüber. Wie kann der Schienengüterverkehr wieder hochgefahren beziehungsweise ausgebaut werden?
» Wir sind bereit: Unsere Konzepte für das Hochfahren stehen. Sobald die Wirtschaft wieder produziert, können wir schnell reagieren und wieder mehr Transporte fahren. In jeder Krise liegt auch eine Chance: Wir haben in den letzten Wochen viele Dinge transportiert, die wir lange nicht auf der Schiene gesehen haben. Und wir arbeiten hart daran, dass das so bleibt. In der Zwischenzeit bereiten wir uns weiter auf das Wachstum im Schienengüterverkehr vor. Beispielsweise stellen wir unverändert neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein.
Derzeit profitiert der Kombinierte Verkehr von aktuellen Transportproblemen auf der Straße – verursacht durch geschlossene Grenzen. Wie könnte der KV die jetzige Situation nachhaltig und dauerhaft für sich nutzen?
» Der KV ist einer der stärksten Wachstumsmärkte. Speziell bei den Transporten von Lebensmitteln zeigen wir gerade, wie leistungsfähig wir im KV sind. Und wir haben viele weitere Ideen, wie wir hier noch stärker werden: Ende des Jahres bieten wir die ersten Verbindungen „KV im Einzelwagenverkehr“ an, und zwar im Nachtsprung zwischen den großen Wirtschaftszentren. Ganz wichtig ist mir, dass wir auch neue Angebote machen und nicht nur auf die Nachfrage reagieren. Wir schließen in Zukunft Kunden ohne Gleisanschluss über den KV an unser Netzwerk im Einzelwagenverkehr an. Dazu braucht es aber auch weitere Anreize, um Güter von der Straße auf die Schiene zu verlagern.
Allerdings wird dem Schienengüterverkehr häufig mangelnde Qualität nachgesagt. Was tut die DB, um das Image des SGV aufzupolieren?
» Indem wir liefern – jederzeit und grenzüberschreitend! Wir beweisen gerade, dass sich die Menschen auf den Schienengüterverkehr verlassen können. Das kommt auch in der Öffentlichkeit mehr und mehr an. Und die Fakten zeigen es auch: Unsere Kundenzufriedenheit steigt enorm. Bei der Pünktlichkeit liegen wir über unserem selbstgesteckten Ziel. Das ist ein Ansporn für die Zukunft. Wir sind auf dem richtigen Weg.
Inwiefern bringt die Pandemie die digitale Transformation bei DB Cargo voran? Und wie könnte die oft diskutierte Digitalisierung im SGV angesichts der Lage den lange erwarteten Schub bekommen?
» Bei der digitalen Transformation haben wir schon weit vor Corona mächtig Fahrt aufgenommen. Wir legen gerade den Endspurt bei der Ausstattung unserer Güterwagen mit GPS und Telematik ein. Bis zum Jahresende haben wir das geschafft. Auch beim Verfolgen der Sendung hat sich eine Menge getan. Auf unserem neuen Portal Link-2Rail haben unsere Kunden alle Daten und Services im Blick, die für sie wichtig sind. Hier fließen heute schon bis zu 1,8 Millionen GPS-Daten unserer intelligenten Güterwagen täglich in den Track&Trace-Service. Kunden können so den kompletten Transportweg noch präziser und transparenter nachverfolgen. Hier setzen wir echte Maßstäbe im Schienengüterverkehr.