Infrastruktur
21.08.2024

Resilientes Netz für die Güterverkehrswende

Wenig hilft bisweilen viel: Auch kleinteilige Baumaßnahmen können die Qualität des gesamten Schienennetzes und des Eisenbahnbetriebs spürbar verbessern. Das gilt vor allem für den Güterverkehr. Die neue Studie „i2045“ richtet den Fokus auf die Infrastruktur der Region Berlin-Brandenburg. Aufgezeigt wird, wie es möglich ist, beispielsweise Kapazitätsreserven besser zu erschließen und den Schienengüterverkehr widerstandsfähiger gegenüber Störungen und Bauarbeiten im Netz zu machen.

Es ist ein Leitfaden, wie auch der Schienengüterverkehr den Einstieg in die Verkehrswende schafft. Es ist höchste Zeit.

Werner Faber
Geschäftsführer der VDV-Landesgruppe Ost zu „i2045“


Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden – und somit auch der Verkehr. Das gelingt nur, wenn deutlich mehr in den Ausbau und den Erhalt der Schieneninfrastruktur investiert wird als in den vergangenen Jahrzehnten. Wie die Güterverkehrswende im Großraum Berlin aussehen kann, zeigt nun die Studie „i2045“. Erstellt wurde sie im Auftrag der VDV-Landesgruppe Ost, mitgewirkt haben unter anderem die landeseigene Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft (Behala) sowie private Eisenbahnverkehrs- und Infrastrukturunternehmen. „Es ist ein Leitfaden, wie auch der Schienengüterverkehr den Einstieg in die Verkehrswende schafft“, sagt Werner Faber, Geschäftsführer der VDV-Landesgruppe Ost: „Es ist höchste Zeit.“

Grafik links: Grüne Strecken sind das Bestandsnetz, auf den roten sollten bis 2045 Bauarbeiten umgesetzt werden. Die Grafik rechts zeigt das Netz 2045.

„i2045“ richtet sich an Entscheiderinnen und Entscheider in Politik und Verwaltung. Die Studie umfasst zahlreiche konkrete Maßnahmen, mit denen in Berlin-Brandenburg bis 2045 messbare Schritte gemacht werden können, um mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Der Name lehnt sich an „i2030 – mehr Schiene für Berlin und Brandenburg“ an: Unter diesem Titel läuft seit 2017 ein Planungsprojekt für den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur. Dessen Ziel ist es, den Personennahverkehr auf der Schiene zu verbessern und mehr Menschen in die Züge holen. „Mit Blick auf die Infrastruktur müssen der SPNV und der Güterverkehr jedoch zusammen gedacht werden“, erklärt Julian Kannenberg, der beim VDV Ost die Studie „i2045“ als Projektassistent koordiniert und eng mit den Gutachtern zusammengearbeitet hat.

„Die Zukunft des Schienengüterverkehrs liegt in Netzwerken und Korridoren, und die gilt es zu stärken“, sagt Martin Wischner, Vorstand der Havelländischen Eisenbahn (HVLE) und stellvertretender Vorsitzender der VDV-Landesgruppe Ost. Drei dieser Korridore des Transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) mit ihren Straßen sowie Wasser- und Schienenwegen kreuzen Berlin und Brandenburg. Sie verbinden die Region in alle Himmelsrichtungen mit der Nordsee, dem Atlantik, dem Mittelmeer, mit Asien, Südosteuropa sowie über den Balkan mit dem Nahen Osten. Mittendrin liegen der Berliner Westhafen und der Südhafen – die innenstadtnahen trimodalen Güterverkehrszentren der Behala. Sie hatten 2023 ein Umschlag- und Transportvolumen von 4,5 Millionen Tonnen und verfügen über ein großes Potenzial für eine klimafreundliche Citylogistik.

Die Resilienz des gesamten Netzes und das Heben neuer Potenziale sind uns zentrale Anliegen.

Julian Kannenberg
Projektassistent beim VDV Ost
für die Studie „i2045“

Zudem steht bei „i2045“ der Netzgedanke im Mittelpunkt: Die Studie listet detailliert auf, welche Umschlagstellen ertüchtigt, wie Engpässe beseitigt, wo Gleisanschlüsse geschaffen und welche Streckenabschnitte elektrifiziert werden können. „Jetzt geht es darum, einfach mal anzufangen“, sagt Werner Faber. „Die Resilienz des gesamten Netzes und das Heben neuer Potenziale sind uns zentrale Anliegen“, ergänzt Julian Kannenberg. Mit Blick auf mögliche Alternativstrecken bei Störungen oder Baustellen zeigt „i2045“ auf, wie mit einer Reihe von vergleichsweise kleinen Maßnahmen das gesamte Netz widerstandsfähiger werden kann.

Die Verlagerung von Gütern auf die Schiene gilt als effizienter Weg, um die Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erreichen. Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, den Anteil des Schienengüterverkehrs bis 2030 auf 25 Prozent zu steigern. Allerdings eignet sich die vorhandene Infrastruktur nicht, um eine deutliche Verschiebung des Modal Splits zu erreichen. Werner Faber, in dessen Landesgruppe rund 80 Unternehmen des Nahverkehrs und des Schienengüterverkehrs in Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt organisiert sind, appelliert an die Politik in Bund und Ländern, auch in Zeiten angespannter Haushalte den Güterverkehr nicht zu vergessen, und fordert mehr Tempo: „Wenn wir nicht sofort in die Wende beim Güterverkehr einsteigen, haben wir keine Chance, die Klimaneutralität bis 2045 auch nur ansatzweise zu erreichen.“

Drei
Fragen an

Martin Wischner (Foto), Chef der Havelländischen Eisenbahn (HVLE) und stellvertretender Vorsitzender der VDV-Landesgruppe Ost, erläutert, worin die aktuellen Herausforderungen für die Güterbahnen liegen.

Welche Botschaft soll „i2045“ in die Politik senden?
» Martin Wischner: Ich finde es wichtig, dass in der Politik ankommt, dass auch die Resilienz des Netzes ein Wert an sich ist. Das Vorhalten einer leistungsfähigen Infrastruktur ist ein Teil der Daseinsvorsorge und damit Aufgabe der öffentlichen Hand. Dankenswerter Weise investiert das Land Brandenburg jährlich einen mittleren einstelligen Millionenbetrag in die Infrastruktur von nichtbundeseigenen Bahnen. Schön wäre es, wenn wir diesen Betrag weiter steigern könnten. Aber es gibt auch Bundesländer, die in dieser Hinsicht gar nichts machen.

Was meinen Sie konkret mit Resilienz?
» Uns geht es nicht nur darum, wie viele Tonnen an Gütern man über bestimmte Strecken transportieren kann, sondern vor allem um die Widerstandsfähigkeit des Netzes – also um die Umleitungsmöglichkeiten bei Störungen und Bauarbeiten. Wenn es an einem neuralgischen Punkt hakt, ist unter Umständen das gesamte Netz betroffen. Resilienz kann man nicht in Tonnenkilometern messen. Es geht auch um Strecken, die vielleicht nur selten befahren werden. Ein Bürgermeister würde auch keine Straße durch den Wald herausreißen, weil dort vielleicht nur zweimal in der Woche ein Auto fährt.

Inwiefern stellt die Generalsanierung des Netzes vor allem für den Güterverkehr eine Herausforderung dar?
» Beim Personenverkehr sind die Leute nach einem halben Jahr Streckensperrung und Schienenersatzverkehr zwar genervt. Danach geht es aber weiter – in der Regel zuverlässiger als vorher – und die Menschen steigen wieder in die Züge ein. Im Güterverkehr ist das oft anders. Es ist im intermodalen Wettbewerb nicht gottgegeben, dass über die Schiene transportiert wird. Unsere Großkunden sind gezwungen, ihre Werkslogistik zu verändern, wenn wir wegen längerer Sperrungen nicht liefern können. Der Ersatz geht dann nur über die Straße. Weil mit der Werkslogistik nicht nur die Abläufe, sondern beispielsweise auch die Schichtsysteme umgestellt werden müssen, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die Transporte auch auf der Straße bleiben, wenn die sanierungsbedingte Streckensperrung abgeschlossen ist. Der Kunde, der weg ist, bleibt dann erst mal weg.

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