„Die Entlastung weiterzugeben, ist unser unternehmerisches Eigeninteresse“
Auch die Fahrgäste im Nahverkehr sollen etwas von der Mehrwertsteuersenkung haben. Die Branche prüft verschiedene Optionen. „VDV Das Magazin“ sprach mit Ulf Middelberg (Foto). Er ist Geschäftsführer der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) und Vorsitzender des Ausschusses für Marketing und Kommunikation im VDV.
Herr Middelberg, um die Konjunktur nach dem coronabedingten Wirtschaftseinbruch anzukurbeln, hat der Bund eine Mehrwertsteuersenkung beschlossen. Was heißt das für den Nahverkehr?
» Ulf Middelberg: Mit den Stichworten „Entlastung“ und „Kaufanreize“ hat die Politik bei den Menschen große Erwartungen geweckt. Auch bei unseren Kunden, die uns beispielsweise mit ihrem Abo in der Krise treu geblieben sind. Deshalb ist es mit Blick auf deren Loyalität und Weiterempfehlungsbereitschaft zentral, überzeugende (Kunden-)Lösungen zu finden – trotz der unbestreitbaren Hindernisläufe zwischen Finanz- und Genehmigungsbehörden, Umstellungsaufwand und verkaufbaren Bruttopreisen. Wir können ja nicht einfach Cent-Beträge beim Ticket abziehen.
Gibt es andere Möglichkeiten, den Fahrgästen etwas zugutekommen zu lassen?
» Das prüfen die Verkehrsunternehmen mit ihren Aufgabenträgern gerade: So könnten Unternehmen die Investitionen in Corona-Schutzmaßnahmen für die Fahrgäste nochmals erhöhen. Denn während der Corona-Pandemie – und auch vorher schon – ist der Ticketpreis nicht das entscheidende Kriterium für die Verkehrsmittelwahl. Mit konzeptionellem Vorlauf bieten zudem Marketingmaßnahmen, wie galant inszenierte Gutschriften für Stammkunden oder ein kostenloser Schnuppertag, unternehmerische Chancen. Bei Stammkunden erhöht Wertschätzung die Kundenbindung. Aktionen helfen, der öffentlichen Stigmatisierung konkret zu begegnen und Vertrauen zurückzugewinnen.
Ab 2021 gilt wieder der alte Mehrwertsteuersatz – ein Problem?
» Die kurzfristige und zeitlich beschränkte Steuersenkung bedeutet für die Wirtschaft einen hohen Aufwand. Die reduzierte Mehrwertsteuer in geeigneter Form an die Fahrgäste weiterzugeben, liegt dennoch in unserem unternehmerischen Eigeninteresse: als Chance für Kundenbindung und damit für Erlöse. Gerade die Stammkunden haben viel Geduld und Solidarität bewiesen. Diesen Fahrgästen, aber auch den wiederkehrenden Kundinnen und Kunden wollen wir ein dauerhaftes gutes und sicheres Gefühl bei hoffentlich wieder intensiverer Nutzung von Bus und Bahn geben. Der VDV hat deshalb im Juli eine entsprechende Kampagne zur Fahrgastrückgewinnung gestartet. Viele Unternehmen denken in die gleiche Richtung. Da ist auch die Weitergabe der Entlastung eine Investition in die Zukunft.