Über ihre Erfahrungen in den ersten Wochen mit „Kira“ sprachen Thorsten Möginger (Foto l.), Projektleiter für autonomes Fahren beim RMV, und Thomas Drewes (r.), Leiter autonomes Fahren bei DB Regio Straße.
Seit Ende Juni sind die „Kira“-Fahrzeuge auf der Straße. Wie läuft der Testbetrieb?
» Thorsten Möginger: Die Fahrzeuge sind schon erstaunlich gut unterwegs – sie beherrschen die meisten Situationen bereits problemlos. Das liegt vor allem am guten Kartenmaterial von Mobileye.
Wie können Aufgabenträger künftig die Level-4-Verkehre realisieren?
» Thorsten Möginger: Um ein gutes Gesamtangebot auf die Straße zu bringen, benötigt man ein abgestimmtes Verkehrskonzept. Wer autonome On-Demand-Verkehre und Linienverkehre ausschreibt und in den ÖPNV-Regelbetrieb überführen will, muss die Rahmenbedingungen des autonomen Fahrens kennen und berücksichtigen.
Was sind die wichtigsten Faktoren bei der Implementierung?
» Thomas Drewes: Wenn das Projekt vertraglich aufgesetzt ist, gilt es, den Betrieb aufzubauen und sich beispielsweise um die Ladeinfrastruktur zu kümmern. Beim autonomen Fahren kommt die Dateninfrastruktur hinzu. Denn die Daten, die das Fahrzeug über die Sensoren sammelt, müssen in die Cloud des Selbstfahranbieters eingespielt werden. Das sind riesige Datenmengen, die über Nacht hochgeladen werden. Dafür wird eine besondere Infrastruktur benötigt, die rechtzeitig aufgebaut werden muss und zusätzliche Voraussetzungen für die Standortwahl festlegt.
Welche Genehmigungen werden benötigt?
» Thorsten Möginger: Zum einen gibt es die klassische Typgenehmigung für das Fahrzeug an sich, die für unser Fahrzeug bereits vorlag. Im Rahmen des Kira-Projekts hat uns das Kraftfahrtbundesamt eine Level-4-Erprobungsgenehmigung erteilt. Für zukünftige Projekte, die dann in den Regelverkehr integriert werden sollen, ist eine Typgenehmigung inklusive Selbstfahrsystem für das Fahrzeug nötig sowie eine Betriebsbereichsgenehmigung der jeweiligen Landesbehörde, in unserem Fall Hessen Mobil.
Welche Rolle spielt das Personal?
» Thomas Drewes: Recruiting und die Schulung sind ein weiteres Thema. Es ist zum Beispiel nicht einfach, Sicherheitsfahrer zu finden – wir benötigen Testfahrer aus der Automobilindustrie, die gut Englisch sprechen müssen. Von Mobileye zertifizierte Trainer bilden sie entsprechend aus – eine dreiwöchige, sehr anspruchsvolle Schulung. Die Fahrer brauchen einen 360-Grad-Blick auf ihren Touren. Ergänzt wird ihre eigene Wahrnehmung durch das Display im Fahrzeug, das anzeigt, was die Sensoren erkennen. Der Sicherheitsfahrer muss vorausschauend erkennen, ob er möglicherweise eingreifen muss.
Worauf kommt es noch an?
» Thorsten Möginger: Man muss sich frühzeitig um die entsprechende Finanzierung bemühen. Am Anfang sind solche Innovationsprojekte kostenintensiv. Nichtsdestotrotz braucht es die politischen Prozesse und viel Überzeugungsarbeit, dieses Thema zu entwickeln und voranzutreiben.
Welche Chancen bieten die autonomen Level-4-Verkehre für den Ausbau des ÖPNV?
» Thomas Drewes: Das autonome Fahren ist der Gamechanger für den ÖPNV. Wir können das Angebot damit trotz des Fahrermangels deutlich ausbauen. Der zweite Punkt betrifft die Kosten: Zukünftig wird das autonome Fahren erheblich günstiger sein als konventionelle Verkehre.
» Thorsten Möginger: Gleichzeitig haben wir die Verpflichtung, unsere Klimaziele zu erreichen. Zudem haben wir eine gesellschaftliche Verantwortung, den Straßenverkehr sicherer zu machen: Autonomes Fahren wird die Verkehrssicherheit deutlich erhöhen und die Mobilität zum Beispiel älterer Menschen von Tür zu Tür gewährleisten – in Städten und im ländlichen Raum.
Wann gibt es komplett fahrerlose Autos in Deutschland?
» Thomas Drewes: Dazu braucht es Fahrzeuge, die die entsprechende Typgenehmigung haben. Die Prognose der Hersteller ist, dass sie diese Typgenehmigungen Ende 2026 beziehungsweise 2027 bekommen. Auf der Basis kann die Betriebsbereichsgenehmigung beantragt werden. Das hat noch niemand gemacht, und es wird sicherlich ein weiteres Jahr dauern. Wir sprechen also vom Zeitraum 2027-2028, bis wir in Deutschland das erste Fahrzeug im komplett fahrerlosen Betrieb sehen werden. Mit unseren aktuellen Testfahrten befinden wir uns auf einem guten Weg dahin.