Aus dem verband

Mehr Mobilität mit weniger Verkehr

Mannheim gilt als Pionierstadt der Mobilität und der Motorisierung. Hier wurden der Vorläufer des Fahrrads und das Automobil erfunden. Wie die Zukunft der Mobilität aussieht und wie die Verkehrswende gestaltet werden kann, diskutierten 850 Teilnehmer während der VDV-Jahrestagung. Eingeladen hatten der VDV und die Rhein-Neckar-Verkehr GmbH.


Nur unweit der Werkstatt, aus der sich einst das erste Auto in Bewegung setzte, ging es drei Tage lang um neue Ideen für die Mobilität von morgen. Die Verkehrswende ist nur machbar mit mehr Digitalisierung, ausreichend qualifiziertem Personal und nicht zuletzt tragfähigen Finanzierungskonzepten. Stärker als in der Vergangenheit widmet sich die Politik derzeit den Themen des Öffentlichen Verkehrs: Die klimafreundliche Mobilität und die Luftreinhaltung in den Städten stehen auf der Agenda. Gefragt sind Ideen für mehr Mobilität bei weniger Verkehr. Auf der VDV-Jahrestagung wurde erneut deutlich, dass der ÖPNV und neue Formen der Mobilität wie Sharing- und On-Demand-Modelle zusammengehören. Nicht zuletzt deshalb hat sich das „VDV New Mobility Forum“ gegründet. Mannheim ist eine von fünf Modellstädten, in der Maßnahmen zur Stickstoffdioxid-Reduktion im städtischen Verkehr umgesetzt werden. Die Stadt verfügt über das größte meterspurige Straßenbahnnetz Deutschlands. Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz sieht darin eine gute Basis für die Verkehrswende und forderte eine Bepreisung von CO2-Emissionen: „Wir brauchen eine schnelle und nationale Lösung.“

Erst das Angebot attraktiver machen

VDV-Präsident Ingo Wortmann betonte in seiner ersten verkehrspolitischen Rede als VDV-Präsident bei einer Jahrestagung, was für ihn der wichtigste Erfolgsfaktor der Verkehrswende ist: „Priorität hat zunächst die Attraktivitätssteigerung des Angebots, und das geht vor allem einher mit dem Ausbau von Kapazitäten – neue Strecken, zusätzliche Gleise und Züge, längere Bahnsteige, qualifiziertes Personal.“ Erst dann könne man über eine Preissenkung nachdenken, sagte Wortmann mit Blick auf Pläne, mancherorts ein Jahresticket für 365 Euro einzuführen. Das komme zur Unzeit. „Es muss auch klar sein, wie die Einnahmeverluste gegenfinanziert werden können. Das können nicht die Verkehrsunternehmen machen, sondern das wird zu einer dauerhaften Belastung der öffentlichen Haushalte führen.“ Zudem forderte Wortmann mehr Unterstützung von Seiten der Politik in puncto Verkehrsfinanzierung und Regulatorik.

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Finanzstaatssekretär Werner Gatzer signalisierte Entgegenkommen. „Die finanziellen Mittel werden für sinnvolle Maßnahmen bereitgestellt, aber solide Staatsfinanzen sind auch eine Form von Nachhaltigkeit.“ Gatzer stellte gleichzeitig das standardisierte Bewertungsverfahren für Infrastrukturprojekte in seiner jetzigen Form infrage. „Wir sind so weit, dass wir etwas ändern wollen.“ Sein Kollege Enak Ferlemann, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, forderte, Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG), die eigentlich für größere Projekte zum Ausbau städtischer Verkehrs­infrastruktur vorgesehen sind, auch für den Substanzerhalt einzusetzen. „Es macht keinen Sinn, neue Infrastruktur zu eröffnen, wenn die alte verkommt.“ Ferlemann sprach sich außerdem dafür aus, im Personenbeförderungsgesetz Land und Stadt unterschiedlich zu behandeln. „Wir werden für beides individuell Lösungen finden müssen.“ Beim Thema Fahrpreise vertrat Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann eine andere Meinung als VDV-Präsident Wortmann: „Wenn der Öffentliche Verkehr seine hohen Ticketpreise verteidigt, wird er scheitern.“ Hermann sagte außerdem, dass nicht nur eine Planungsbeschleunigung, sondern eine Beschleunigung der Projekte sowie ihrer Realisierung vonnöten sei. „Wir sind überall zu langsam. Wenn wir so weitermachen, werden wir unsere Ziele bei der Mobilität und beim Klimaschutz krachend verfehlen.“

Nahverkehr und Heimat

Einen kritischen Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen jenseits der Verkehrspolitik warf Heribert Prantl, Autor und Kolumnist der Süddeutschen Zeitung. „Vielleicht geht die Zeit der Gleichgültigkeit zu Ende“, sagte Prantl mit Blick auf die sichtbaren Folgen des Klimawandels, das stille Sterben in der Natur und die lauten Töne populistischer Extremisten und Nationalisten. Denen dürfe der Begriff „Heimat“ nicht überlassen werden. „Heimatlichkeit der Heimat“ sei der Schlüssel zu einer guten Zukunft. „Heimatliche Politik ist eine Politik, die den Menschen ihre Unsicherheit nimmt.“ Diese Form der Politik denke an Mieten und Renten – sowie gute Verkehrsinfrastruktur und Mobilität. „Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Heimat funktioniert, ist, dass der Nahverkehr funktioniert.“

„ÖPNV gehört ins Rampenlicht“

Mit viel Humor und Leidenschaft für Verkehrsthemen würzte Cem Özdemir im Rahmen des Festabends seine Dinner-Rede: „Klimapolitik ohne Verkehrswende ist wie Fußball ohne Ball.“ Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag machte klar: „Der ÖPNV gehört ins Rampenlicht der Politik.“ Für den Ausbau sei das Zeitfenster jetzt geöffnet. Der Bund müsse die Kommunen in die Lage versetzen, die Verkehrswende passgenau umzusetzen. Bei der Finanzierung sei der Grundsatz „Straße finanziert Straße, Schiene finanziert Schiene“ endlich aufzugeben: „Es würde helfen, wenn wir sagen ,Verkehr finanziert Verkehr‘“. Özdemir hob auch die Bedeutung des Güterverkehrs auf der Schiene hervor und empfahl Abgeordneten, sich in den lokalen Medien ihrer Wahlkreise nicht nur für neue Straßen, sondern auch für neue Gleisanschlüsse feiern zu lassen.

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Einen konkreten Blick in die Zukunft gab es tagsüber im Fachforum zur brancheneigenen Mobilitäts-App „Mobility inside“. Zehn Vertreter der Initiatoren stellten den Prototypen der digitalen Plattform vor. „Mit ,Mobility inside‘ werden unsere Kundinnen und Kunden in einer App Fahrkarten von Start bis Ziel kaufen können, egal, ob sie Nahverkehr, ICE oder Bikesharing nutzen“, erläuterte Prof. Knut Ringat, der sich als VDV-Vizepräsident und Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbunds (RMV) für diese App stark macht. „Der Prototyp ist ein wesentlicher Schritt, damit wir im Herbst die App mit zehn Partnern und 3.000 Fahrgästen aus ganz Deutschland testen können.“ Um die digitale Plattform weiterentwickeln zu können und auf die komplette Mobilitätsbranche auszuweiten, soll noch im Sommer eine rechtlich eigenständige Betreibergesellschaft gegründet werden. In weiteren Fachforen ging es um Fragen der Koordination und Kapazitäten für den Personen- und Güterverkehr bei der Einführung des Deutschland-Takts sowie Trends und Regulierungen bei der individuellen öffentlichen Mobilität.

„Talente im VDV“ aus Leipzig

Den Preis „Talente im VDV“ erhielten in diesem Jahr die Macher des Filmprojekts „Haltung zeigen“. Acht Azubis der Leipziger Verkehrsbetriebe beschäftigten sich drei Wochen lang mit dem Thema „Mit­einander am Arbeitsplatz“. Wie sich das die angehenden Fachkräfte im Fahrbetrieb und die Elektroniker für Betriebstechnik vorstellen, zeigt ein dreiminütiger Film. Ihr Fazit: „Wir sind alle unterschiedlich, aber gleich viel wert.“

Leipziger Azubis sind die Talente im ÖPNV: Oliver Wolff (l.) gratulierte (v. l. n. r.) Thilo Neubacher, Hans Kluge, Michael Halberstadt (Geschäftsführer Personal u. Fahrservice), Christoph Beck, Annika Reinhardt, Omairah Al-Mugrabi, Yeri Vargas Villca, Mohammad Zakkoor und Luay Noor Eddin Ahmad.

Weitere Informationen


zur ­Jahrestagung:
www.vdv.de/jahrestagung.aspx

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