Überholvorgang abgebrochen?
Jahrelang zählte der öffentliche Verkehr zu den Vorreitern der Verkehrswende. Der E-Bus ist der Trendsetter für den klimafreundlichen Liniendienst heute und morgen. Doch neue Prioritäten der Bundesregierung bedrohen die weitere Aufstockung der abgasfreien Flotten. Weil staatliche Fördermittel für die Beschaffung der sauberen Fahrzeuggeneration rigoros zusammengestrichen werden, müssen die Unternehmen teilweise wieder Dieselbusse beschaffen. Die kosten nur die Hälfte, aber ihr Einsatz ist spätestens in zehn Jahren durch EU-Vorschriften verboten.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte vor gut einem Jahr vollmundig verkündet: „Bis 2030 soll jeder zweite Stadtbus elektrisch fahren.” Daraus wird wohl nichts. Rund 50.000 Linienbusse sind Tag für Tag in Stadt und Land unterwegs. Lediglich 6.000 von ihnen sind E-Busse. Geordert wurden sie mit erheblicher staatlicher Unterstützung, denn die neue Antriebstechnologie und der Aufbau der für sie erforderlichen Infrastruktur mit Ladestellen und speziell ausgerüsteten Betriebshöfen erfordert Investitionen in Größenordnungen, welche die zumeist kommunalen Betreiber kaum alleine stemmen können. Mit zwölf Prozent Elektrofahrzeugen hat die Nahverkehrsbranche bereits einen dreimal so hohen Anteil an klimafreundlicher Technologie wie der Individualverkehr. Doch der Umkehrschluss zeigt die Dimensionen der Aufgabe: Nach wie vor fahren 88 Prozent der Busse mit Dieselmotoren – überwiegend mit bereits umweltschonenden Aggregaten der Norm Euro VI. Selbst diese wird von der in der Europäischen Union geltenden Clean-Vehicles-Richtlinie (CVD) als „nicht sauber“ zumindest langfristig quasi verboten. Und mehr noch: EU-Rat und -Parlament haben beschlossen, dass 90 Prozent der neu in den Markt gebrachten Stadtbusse ab dem Jahr 2030 emissionsfrei sein müssen, ab 2035 dann 100 Prozent.
Bis ins nächste Jahr wollten die Verkehrsunternehmen den Anteil ihrer E-Busse auf rund 10.000 Fahrzeuge erhöhen, dann immerhin 20 Prozent des gesamten Fuhrparks. Doch dieser Beitrag zur Verkehrswende ist jetzt fraglich geworden. Die Finanznöte der Ampelkoalition bei den Haushaltsberatungen führen zu erheblichen Kürzungen bei den Fördermitteln. Rund 77 Millionen Euro weniger stehen für die Bestellung von Bussen mit alternativen Antrieben und für die Umrüstung von Betriebshöfen in diesem Jahr bereit. Geblieben sind 459 Millionen Euro. Zwar sieht der Klima- und Transformationsfonds (KTF) des Bundes für 2025 wieder eine leichte Aufstockung der Finanzierungshilfen vor (plus 2,4 Millionen Euro im Vergleich zu 2024), doch soll das Förderprogramm bis 2029 stufenweise auslaufen. Zugleich ist der überwiegende Teil der Mittel bereits in bestehenden Bewilligungen für Projekte gebunden. Das bremst den weiteren Einsatz emissionsfreier Antriebe bei den E-Bussen erheblich. Die deutsche Verkehrspolitik schafft damit nun Fakten, die vor Ort den Verkehrsunternehmen die Klimaschutzziele unerreichbar machen. „Vor dem Hintergrund der neuen Prioritäten scheint die Bundesregierung das politische und gesellschaftliche Ziel der Verkehrswende leichtfertig aufzugeben“, bilanziert VDV-Vizepräsident Werner Overkamp. Bislang sei die Umstellung auf emissionsfreie Antriebe im ÖPNV ein zentraler Baustein für die Klimaschutzziele gewesen.
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Neue Busse überwiegend Verbrenner
Eine aktuelle Branchenumfrage unter VDV-Mitgliedsunternehmen verdeutlicht die Dimensionen. Aufgrund der fehlenden Fördermittel müssen die Verkehrsbetriebe in den Städten völlig neu disponieren. Ursprünglich sollten in diesem und dem nächsten Jahr rund 2.400 Busse mit Elektroantrieb bestellt werden. Dieses Auftragsvolumen muss zwangsläufig auf gut 40 Prozent zusammengestrichen werden. Luft nach oben gibt es kaum, eben weil der überwiegende Teil der zur Verfügung stehenden Fördermittel bereits gebunden ist. Da die Erneuerung der Fahrzeugflotten in den Unternehmen kontinuierlich weitergehen muss, bedeutet das auch: Knapp 60 Prozent der Stadtbusse, die in den nächsten Jahren neu in Betrieb gehen, werden einen Diesel- oder Gasantrieb haben – obwohl es gerade der Verkehrssektor ist, der sich mit der Reduktion seiner umweltschädigenden Auswirkungen besonders schwertut.
Werner Overkamp weist auf einen weiteren Aspekt hin: Die E-Bus-Bestellungen hätten bislang den Fahrzeugherstellern wichtige Aufträge und zukunftsträchtige Arbeitsplätze gesichert. „Es war ein Industrieförderprogramm in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten.“ Eine „verlässliche Finanzierungskulisse” für Herstellung und Vertrieb von Fahrzeugen, Ladesäulen und anderen Komponenten müsse auch künftig europaweit gesichert sein, damit die Weiterentwicklung umweltfreundlicher und klimaneutraler Technologien für den E-Bus-Markt nicht abbreche. Die Industrie werde erfahrungsgemäß nur dann am Ball bleiben, wenn es eine anhaltende Investitionsförderung bei Bund und Ländern gebe und somit eine langfristige Auftragslage zu erwarten sei.
Auf der Suche nach Auswegen aus dem Förderdilemma schlagen die Experten des VDV vor, die Unterstützung der E-Bus-Projekte künftig alternativ über die Instrumente des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) sicherzustellen. Das sollte sich problemlos in die bestehenden Fördertatbestände des GVFG einreihen lassen. Sinnvoll wäre es allerdings, die Finanzierungsmöglichkeiten des Gesetzes dann auch mit einer Aufstockung der Mittel zu erhöhen – denn der flächendeckende Einsatz des E-Busses liegt noch in weiter Ferne.