Aus dem verband

Die Zeichen stehen auf Aufbruch

Angesichts ehrgeiziger Klimaziele, der notwendigen Einhaltung von Luftreinhalteplänen und der digitalen Vernetzung steht die Verkehrsbranche vor tief greifenden Veränderungen. Zu schaffen sind diese nur mit einer Verkehrswende, die mehr Menschen in den Öffentlichen Personenverkehr und mehr Güter auf die Schiene bringen soll. Wie sich die Verschiebung im Modal Split erreichen lässt, war Thema auf der diesjährigen VDV-Jahrestagung im Juni. Das Motto: „Deutschland mobil 2030“.


VDV-Präsident Jürgen Fenske stellte im Rahmen seiner verkehrspolitischen Rede die Eckpunkte des Programms „Deutschland mobil 2030“ vor.
Foto: Michael Fahrig 


„Wer die Verkehrswende will, der muss erkennen, dass der Elf-Prozent-Anteil des ÖPNV am Modal Split nicht reichen kann, um Mobilität zu gewährleisten“, betonte VDV-Präsident Jürgen Fenske auf der dreitägigen Veranstaltung in Hannover. Auch der Anteil des Schienengüterverkehrs (SGV) stagniere mit 18 Prozent gegenüber dem Güterverkehr auf der Straße. Dies müsse sich ändern. „Aber entsprechende Ziele zu formulieren, ist einfach. Wichtiger ist die Frage, wie wir solche Ziele umsetzen können.“

Dieses Programm soll die Verkehrswende möglich machen.

Jürgen Fenske, VDV-Präsident, zu „Deutschland mobil 2030“

Ein Sechs-Punkte-Programm soll darauf erste Antworten liefern. „Deutschland mobil 2030“ heißt es – und war damit Mottogeber für die Jahrestagung, die in diesem Jahr vom VDV und der Üstra Hannoversche Verkehrsbetriebe AG im Hannover Congress Center ausgerichtet wurde. „Dieses Programm soll die Verkehrswende möglich machen“, betonte Fenske, der die sechs Punkte auf der Tagung erstmals öffentlich präsentierte.
Im Kern geht es dabei um die Stärkung des kommunalen ÖPNV, etwa durch ein Programm zur Auflösung des auf 4,6 Milliarden Euro angewachsenen Sanierungsstaus sowie durch eine Verdoppelung der Mittel aus dem Bundes-GVFG (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz). Diese waren zwar kurz vor der Jahrestagung von Bundestag und Bundesrat verlängert, allerdings nicht erhöht worden. Damit liegt das Volumen des GVFG weiter bei 333 Millionen Euro pro Jahr – wie schon seit 1997. Doch schon heute sei dieser Fördertopf zwanzigfach überzeichnet. „Das kann nicht aufgehen. Das kann nicht das letzte Wort sein“, kritisierte der VDV-Präsident. Er forderte zudem eine Dynamisierung der Mittel. Gleichzeitig gelte es, die Erhaltungs- und Wachstumsinvestitionen fürs Schienennetz zu erhöhen. Wettbewerbsnachteile für den SGV – etwa über eine Reduzierung der Trassenpreise – müssten beseitigt werden.
Weitere Punkte des Aktionsprogramms umfassten die Themen Smart Mobility und Digitalisierung, die Förderung von E-Mobilität bei Bussen und Ladeinfrastruktur sowie die Entwicklung einer bundesweiten Mobilitätsplattform, wie sie der VDV und 20 Verkehrsunternehmen derzeit mit „Mobility inside“ vorantreiben.

Redner im Forum Verkehrspolitik: Enak Ferlemann (l.), Parlamentarischer Staatssekretär im BMVI, und Niedersachsens Verkehrsminister Olaf Lies
Fotos: Michael Fahrig

Schienengüterverkehr entlastet

Was die von Fenske geforderten finanziellen Entlastungen für den Schienengüterverkehr angeht, hielt die Bundesregierung mittlerweile Wort. Auf der Jahrestagung hatte Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, bereits auf den kurz danach vorgestellten Masterplan für den Schienengüterverkehr verwiesen: „An diesem wird eine deutliche Reduzierung der Schienenmaut einen wesentlichen Anteil haben“, betonte Ferlemann. Zudem versprach er, dass der Bund Städte und Kommunen stärken und auch den ländlichen Raum vermehrt unterstützen wolle. Für die notwendigen Infrastrukturinvestitionen müsse spätestens in der kommenden Legislaturperiode eine Lösung gefunden werden. Mit Blick auf die Dynamisierung des GVFG äußerte sich Ferlemann hingegen zurückhaltend. Dafür sei schließlich eine Verfassungsänderung notwendig – und diese nicht leicht umzusetzen, gab er zu bedenken. Zuversichtlicher klang hier sein „Chef“: Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt war direkt vom EU-Ministerrat in Luxemburg zur VDV-Jahrestagung gereist. „Es ist gut, dass das GVFG weiterläuft“, sagte er: „Aber ich weiß, dass es auf diesem Niveau nicht bleiben kann.“ Deswegen gehe es nun darum, „gemeinsam die Politik davon zu überzeugen“. „Ich bitte Sie, genau diese Forderung mit mir in Zukunft an die Politik zu stellen. Und falls diese Forderung dann an mich geht, ist das auch gut“, sagte Dobrindt mit Blick auf die anstehenden Bundestagswahlen im September.

Denn wer ab Herbst das Verkehrsressort leitet, steht naturgemäß noch in den Sternen. Kein Wunder also, dass sowohl Verband als auch Politik die Jahrestagung nutzten, um Bilanz zu ziehen. Regionalisierungsmittel, GVFG, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung II, der Bundesverkehrswegeplan oder der aktuelle Investitionshochlauf des Verkehrsministeriums: „Da wurden beachtliche Fortschritte gemacht“, lobte Jürgen Fenske. Dennoch gebe es ein „Aber“, etwa bei den angesprochenen Wettbewerbsnachteilen für den SGV und den offenen Finanzierungsfragen im kommunalen Nahverkehr.

Er selbst habe die Zusammenarbeit mit dem VDV als „kritische Partnerschaft empfunden, die es darauf angelegt hat, Lösungen zu finden“, bilanzierte wiederum Alexander Dobrindt. Und sein Staatssekretär Ferlemann scherzte: „So viel Lob hören wir selten.“

UITP-Generalsekretär Alain Flausch (l.) und der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach sprachen über Verkehrs- und Gesellschaftspolitik.
Fotos: Michael Fahrig

Es geht darum, möglichst viele Verkehrsunternehmen über eine IT-Hintergrundarchitektur zu verbinden.

Oliver Wolff, VDV-Hauptgeschäftsführer, zu „Mobility inside“

Mobilität 4.0 war weiteres Thema

Weitere beherrschende Themen der Jahrestagung waren die Kommunikation von ÖV-Projekten sowie besonders Digitalisierung und Mobilität 4.0. Während auf dem HCC-Außengelände Testrunden mit dem autonomen Minibus „Wepod“ gedreht werden konnten, diskutierten die 800 Teilnehmer in den Sälen über das automatisierte Fahren oder das verkehrs- und verbundübergreifende E-Ticketing. VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff präsentierte in einem der Foren die Hintergründe von „Mobility inside“ – eine Vernetzungsinitiative, die eine bundesweite Plattform für Tickets, Tarife und Kundeninfos zum Ziel hat. „Das ist eine harte Managementaufgabe“, sagte Oliver Wolff. „Es geht nicht darum, eine schöne neue App zu bauen, sondern möglichst viele Verkehrsunternehmen über eine IT-Hintergrundarchitektur zu verbinden.“ Erfreulich für die Initiatoren: Bundesminister Dobrindt nutzte die Jahrestagung, um vor Ort drei Förderbescheide über insgesamt 880.000 Euro an Projektpartner zu überreichen.

Wie wichtig Angebote wie „Mobility inside“ und ein digitalisierter ÖPNV für die Branche sind, hatte zuvor schon André Neiß verdeutlicht, Vorstandsvorsitzender der Üstra und diesjähriger Gastgeber der Jahrestagung. „Die Digitalisierung wird uns in neue Wettbewerbsmodelle führen“, sagte er. Etwa mit den Autoherstellern, die realisieren, dass die reine Fahrzeugproduktion als Geschäftsmodell nicht mehr ausreicht – und die sich deswegen im Nahverkehr engagieren. „Die erste und letzte Meile wird hier eine entscheidende Rolle spielen“, so Neiß: „Die Nahverkehrsunternehmen müssen immer wieder neue Räume für sich finden. Wir haben hier eine spannende Zukunft vor uns.“ Niedersachsens Verkehrsminister Olaf Lies betonte: „Das Thema autonomes Fahren eröffnet eine Perspektive, die für ein Flächenland wie Niedersachsen von enormer Bedeutung ist.“

Der Gedanke, dass die Branche ebenso wie die Gesellschaft vor einem großen Umbruch steht – er zog sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltung. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach betonte in einer gesellschaftspolitischen Keynote, dass sich die Entwicklungsgeschwindigkeit im Vergleich zu früheren Epochen deutlich beschleunigt habe, und sagte: „Durch die Digitalisierung wird es einen fundamentalen Wechsel geben – politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich.“
„Wir sind in einer Phase, die große Veränderungen für uns bereit hält – aber ich glaube, wir sind gut aufgestellt“, fasste Oliver Wolff zusammen.

Diesen Eindruck scheinen die deutschen Verkehrsunternehmen auch nach außen zu vermitteln – fand zumindest Alain Flausch, UITP-Generalsekretär. „In den vergangenen Jahren wirkten Sie beim Blick in die Zukunft sehr besorgt“, sagte er. Dieser Eindruck habe sich geändert. Das Bild, das die Branche nach außen vermittle, wirke „zufriedener“. Von neuen Mitbewerbern wie Uber müsse sich niemand Bange machen lassen. Aber gerade mit Blick auf die Verkehrsströme der Zukunft müsse die Branche eine führende Rolle spielen und sie gegebenenfalls auch einfordern. Flausch: „Sie müssen das Rückgrat der städtischen Mobilität bleiben. Es sind die Öffentlichen Verkehrsunternehmen, die die Verkehre der Zukunft steuern sollten.“

Der Film zur VDV-Jahrestagung:

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Weitere Informationen zur ­Jahrestagung:
www.vdv.de/jahrestagung.aspx

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