Mobilitätswende:
Wie die Politik zu diesem Thema steht
95
Prozent
sind der Meinung, dass die Genehmigungsverfahren und Bauvorhaben für den nötigen Neu- und Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur bis 2030 weiter beschleunigt werden müssen.
Schon bevor die EU ihre Klimaschutzziele nochmals verschärft hat, stand fest: Die künftige Bundesregierung muss die Mobilitätswende forcieren. Wenige Wochen vor der Wahl des Bundestags hat der VDV politische Entscheiderinnen und Entscheider befragt, welche Positionen sie bei drängenden Fragen des öffentlichen Verkehrs und der Mobilität beziehen.
Der VDV fragte – Politikerinnen und Politiker antworteten. Wie schon 2017 wollte der VDV auch vor der im Herbst anstehenden Bundestagswahl ein Meinungsbild zu verkehrspolitischen Themen einfangen. Demnach dürfte eine der größten Herausforderungen der kommenden Legislaturperiode sein, die verschärften Klimaschutzziele der EU umzusetzen. So sehen das 94 Prozent der Befragten, die sich an der jüngsten VDV-Umfrage beteiligt haben. Denn bis 2030 müssen die CO2-Emissionen gegenüber 1990 um mindestens 55 Prozent gesenkt werden. Ein noch höherer Anteil der Politikerinnen und Politiker will sich in den kommenden vier Jahren dafür einsetzen, dass die erforderlichen Bundesmittel für Neu- und Ausbaumaßnahmen im Schienenverkehr erhöht werden. Hohe Zustimmung gab es von allen Parteien, dass die Bedeutung von ÖPNV und Eisenbahn inklusive des Schienengüterverkehrs in den kommenden Jahren zunehmen wird. Pauschale Preisabsenkungen oder Tickets zum Nulltarif sehen dagegen viele mit Blick auf die Finanzierbarkeit skeptisch.
Diese Ergebnisse sind nur ein Ausschnitt eines Meinungsbildes, das der VDV im Rahmen seiner Onlinebefragung unter rund 2.000 politischen Entscheiderinnen und Entscheidern ermittelt hat. Beteiligt haben sich unter anderem Bundestagsabgeordnete, Kandidatinnen und Kandidaten, die am 26. September erstmalig antreten, oder auch Vertreterinnen und Vertreter von Bund und Ländern aus den Bereichen Verkehr, Wirtschaft, Finanzen, Haushalt sowie Umwelt und Energie. Manche Fragen wurden in einem breiten Konsens beantwortet, andere kontrovers. „VDV Das Magazin“ alle Ergebnisse vor.
Online finden Sie die Ergebnisse auch unter: www.vdv.de/umfrageergebnisse
Stimmen Sie folgender Aussage zu? Eine der größten (verkehrs-)politischen Herausforderungen in der kommenden Legislaturperiode wird es sein, die verschärften EU-Klimaschutzziele umzusetzen, um diese bis 2030 zu erfüllen.
Bis 2050 soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent werden. Der europäische Grüne Deal ist das Schlüsselprojekt. Dafür wurde das EU-Klimaziel verschärft. Der Ausstoß der Treibhausgase soll bis 2030 statt um 40 nun um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. Dabei muss der Verkehrssektor – bislang einer der größten Hemmschuhe bei den Bemühungen um mehr Klimaschutz – seine Emissionen um 53 Prozent senken. Bis 2050 sollen die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen um 90 Prozent reduziert werden: mit einer Stärkung von Bus und Bahn, neuen nachhaltigen Mobilitätsdiensten, intelligentem Verkehrsmanagement und Mobilitätsangeboten als Service, die über Plattformen miteinander vernetzt sind.
Wird die Bedeutung von ÖPNV und Eisenbahnverkehr (inklusive Schienengüterverkehr) mit Blick auf das Erreichen der EU-Klimaschutzziele in den kommenden Jahren zunehmen, gleich bleiben oder sinken?
Die EU-Klimaschutzziele können nur erreicht werden, wenn der öffentliche Verkehr als zentraler Baustein der Mobilitätswende gestärkt wird – mit der Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030 und einem Marktanteil des Schienengüterverkehrs von mindestens 25 Prozent. Die Umsetzung der Masterpläne Schienenverkehr und Schienengüterverkehr sind daher wichtige Aufgaben in der nächsten Wahlperiode. Die infolge des Wegfalls von Fahrtanlässen und Schutzregelungen verringerten ÖPNV-Fahrgastzahlen gilt es rasch wieder zu steigern.
Würden Sie sich im Bund für eine zusätzliche Förderung der Betriebskosten im ÖPNV einsetzen, um damit die Ziele bei Klimaschutz und Luftreinhaltung erreichen zu können?
Vor der Covid-Krise sind immer mehr Menschen auf Bus und Bahn umgestiegen. Damit auf dem Weg zur Mobilitätswende daran angeknüpft werden kann, muss die vorhandene Infrastruktur modernisiert, ausgebaut und barrierefrei gestaltet werden. Um künftig deutlich mehr Menschen klimafreundlich zu befördern, sind ein massiver Ausbau der Kapazitäten und Angebote im ÖPNV dringend notwendig. Dadurch entstehen den Verkehrsunternehmen hohe zusätzliche Kosten für den Betrieb, die nicht allein über Ticketeinnahmen erwirtschaftet werden können.
Für den nötigen Neu- und Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur müssen bis 2030 die Genehmigungsverfahren und Bauvorhaben in Deutschland weiter beschleunigt werden. Stimmen Sie dieser Aussage zu?
Um den nötigen Neu- und Ausbau der Infrastrukturen für Busse und Bahnen zu realisieren, ist die weitere Beschleunigung von Genehmigungsverfahren und Bauvorhaben Grundvoraussetzung. Das Planungsbeschleunigungsgesetz hat zwar die Vorschriften zur Planfeststellung für Straßen-, Stadt- und U-Bahnen verbessert sowie Erleichterungen für den Eisenbahnverkehr geschaffen. Zahlreiche andere Änderungen, die teilweise auf EU-Ebene festgeschrieben werden müssen, stehen jedoch noch aus.
Werden Sie sich in der kommenden Legislaturperiode dafür einsetzen, dass die erforderlichen Bundesmittel für Neu- und Ausbaumaßnahmen im Schienenverkehr erhöht werden?
Die Eisenbahn ist in vielen Regionen Teil des ÖPNV und ebenso aktiver Partner bei Klimaschutz und Luftreinhaltung. Eine leistungsfähige Schieneninfrastruktur ist die Grundvoraussetzung für eine möglichst große Mobilität der Bürgerinnen und Bürger sowie für wettbewerbsfähige Güterbahnen. Der Schlüssel zu den gewünschten Zuwächsen liegt in der Steigerung der Netzkapazität.
Können Sie sich vorstellen, in der kommenden Legislaturperiode den Weg für neue Finanzierungsinstrumente bzw. die sogenannte Drittnutzerfinanzierung (z. B. höhere Parkgebühren oder Modelle wie eine Citymaut) freizumachen?
Ein kundenorientierter, zukunftsfähiger und klimafreundlicher Öffentlicher Personennahverkehr braucht eine auskömmliche Finanzierung. Um diese dauerhaft sicherzustellen und ein weiteres Wachstum zu ermöglichen, müssen die vorhandenen Finanzierungsinstrumente zielgerichtet für den Klimaschutz weiterentwickelt und ergänzt werden.
Denken Sie, dass massive Ticketpreissenkungen oder sogar kostenlose Angebote dazu beitragen, dass Pendlerinnen und Pendler beziehungsweise Reisende vermehrt auf Busse und Bahnen umsteigen werden?
Für die Mobilitätswende und den Umstieg auf den öffentlichen Personenverkehr müssen in erster Linie Bus- und Bahnangebote attraktiver werden. Zu den dabei häufig diskutierten Vorschlägen gehören unter anderem die Einführung von sogenannten 365-Euro-Tickets oder auch der kostenlose Nahverkehr. Die wirtschaftlichen Folgen wären für die Branche allerdings erheblich - sie müssten durch die öffentliche Hand ausgeglichen werden und würden dann zulasten von anderen Bus- und Bahn-Angeboten gehen. Erhebungen bei der Verkehrsmittelwahl zufolge ist der Preis nur ein Faktor von vielen. Studien zeigen, dass zum Beispiel ein gutes Angebot von Bus und Bahn wichtiger ist.
Würden Sie eine Fortführung und Ausweitung der Trassenpreisförderung im Schienenverkehr unterstützen?
Trassenpreise, die Eisenbahnen für die Nutzung der Schienenwege zahlen müssen, sind eine erhebliche Kostenbelastung. So hat der Bund inzwischen eine Trassenpreisförderung für den Schienengüterverkehr festgeschrieben und eine coronabedingte Trassenpreisförderung für den Eisenbahnpersonenverkehr auf den Weg gebracht. Diese Förderungen sind jedoch zeitlich befristet und greifen nicht auf allen Strecken im Netz. Mit einer Ausweitung der Förderung auf Personen- und Güterverkehre, die auf Infrastrukturen der nichtbundeseigenen Bahnen laufen, könnte die Benachteiligung dieser Eisenbahninfrastrukturen beseitigt werden und das gesamte Bahnnetz gewinnen.
Welche der genannten Initiativen sind aus Ihrer Sicht die prioritär umzusetzenden digitalen Lösungen für mehr Wachstum im öffentlichen Verkehr?
Digitalisierung und technische Innovationen sind entscheidende Instrumente auf dem Weg zu einer besser vernetzten sowie klima- und nutzerfreundlichen Mobilität. Sie machen den öffentlichen Verkehr zuverlässiger und leistungsfähiger. Die Branche arbeitet an der Entwicklung und Umsetzung solcher Lösungen und ist dabei auf die Unterstützung von Bund und Ländern angewiesen. Ein Großteil der Tickets ist beispielsweise bereits digital – als Chipkarte oder auf dem Smartphone.
Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Ende Dezember 2021 auslaufende Förderrichtlinie für den Kombinierten Verkehr (KV) fortgeschrieben und zugleich das Abrufen der Fördermittel für die Unternehmen erleichtert wird?
Bis zum Jahr 2030 soll der Marktanteil der Güterbahnen auf mindestens 25 Prozent ansteigen - in einem insgesamt wachsenden Markt. Voraussetzung dafür ist die Modernisierung, Digitalisierung und der Ausbau der Schiene. Aber auch einer weiteren Stärkung des Kombinierten Verkehrs (KV), der beim Gütertransport verschiedene Verkehrsträger verknüpft, kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu.
98
Prozent
stimmen der Aussage zu, dass der Einzelwagenverkehr ausgebaut, modernisiert, digitalisiert und automatisiert werden muss.
Stimmen Sie folgenden Aussagen zu?
Der Einzelwagenverkehr, mit dem Wagengruppen einer ganzen Region gebündelt und in gemeinsamen Güterzügen zwischen den Regionen transportiert werden, muss ausgebaut, modernisiert, digitalisiert und automatisiert werden. Damit kann der Schienengüterverkehr noch flexibler und individueller auf Kundenwünsche eingehen, und die Verlagerung von Gütertransporten auf die Schiene wird dadurch attraktiver.
Beim Einzelwagenverkehr ist das Potenzial für eine massive Modernisierung, Automatisierung und Digitalisierung besonders hoch. Auch die Förderung der Anlagenpreise ist ein wichtiger Beitrag, den Einzelwagenverkehr zu stärken.
Stimmen Sie folgenden Aussagen zu?
Im Schienengüterverkehr muss europaweit auf die Digitale Automatische Kupplung (DAK) umgerüstet werden, um die bisherige zeitintensive und manuelle Zugvorbereitung und Abfertigung zu vereinfachen und zu verbessern. Die flächendeckende Umstellung kann jedoch nur mit einer breiten finanziellen Unterstützung vonseiten der Europäischen Union und des Bundes gelingen.
Europaweit müssen 450.000 Güterwagen mit der DAK ausgerüstet werden. Die Kosten werden auf sechs bis zehn Milliarden Euro geschätzt. Fördergelder für Unternehmen, die vorangehen, könnten die Entwicklung beschleunigen.