Es geht nicht so recht voran mit der Elektrifizierung des Schienennetzes. Zuletzt kamen im Schnitt etwa 80 Kilometer Oberleitung pro Jahr hinzu. Bis 2030 sollen laut Koalitionsvertrag 75 Prozent des Bundesschienennetzes elektrifiziert sein. Das Ausbautempo reicht jedoch bei Weitem nicht, um das selbst gesteckte Ziel zu erreichen: Aktuell beträgt der Elektrifizierungsgrad 62 Prozent. Wird das nichtbundeseigene Netz mit seinen 5.000 bis 6.000 Kilometern einschließlich der Hafenbahnen hinzugerechnet, sogar nur 56 Prozent. Von seinem Ausbauziel ist Deutschland 4.500 Kilometer entfernt – also etwa die fünffache Strecke zwischen Hamburg und München. Lediglich 1.100 Kilometer hat die Bundesregierung nach eigenen Angaben bereits in der Planung. Das würde zu einem Anteil von 65 Prozent führen – zehn Prozent unter der Zielmarke. Um die 75 Prozent trotzdem zu schaffen, müssten in den verbleibenden sieben Jahren jeweils 600 Kilometer Bundesschienenwege elektrifiziert werden (siehe Infografik), was einer Verachtfachung des Tempos entspräche. „Das ist, so bedauerlich wir das finden, beim bisherigen Umsetzungsstand gänzlich unrealistisch“, sagte Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Branchenverband VDV. Beide Verbände wollen die Politik weiter anspornen, mit dem Ausbau der Infrastruktur ernst zu machen – und sprechen sich für eine Anpassung des Elektrifizierungsziels aus: „Wir halten 80 Prozent bis zum Jahr 2035 nicht nur für wünschenswert, sondern auch für realistisch“, sagte Dr. Martin Henke, Geschäftsführer Eisenbahnverkehr beim VDV.
Zu wenig Geld, zu langsam, zu wenig personelle Ressourcen bei den Baufirmen, zu viel Bürokratie: Das sind die wesentlichen Gründe, warum der Oberleitungsausbau hinter den Zielen zurückbleibt. Vorschläge, wie die zu erreichen sind, liegen seit Ende 2022 auf dem Tisch. Die von der Bundesregierung eingesetzte Beschleunigungskommission Schiene schlug neben einer stabilen Finanzierung im Wesentlichen einen Abbau von Bürokratie vor – und zum Beispiel bei Elektrifizierungsvorhaben auf die Nutzen-Kosten-Bewertung und auf aufwändige Genehmigungsverfahren bei kleineren Projekten zu verzichten. Das Ziel, mehr Oberleitungen zu bauen, stehe fest, und die Elektrifizierung ab einer gewissen Streckenauslastung sei in jedem Fall volkswirtschaftlich sinnvoll. Um die Infrastruktur mittel- bis langfristig zu finanzieren, schlagen die Verbände jeweils eine Fondslösung für den Erhalt sowie für den Aus- und Neubau vor.
Neue Standards erleichtern Elektrifizierung
Für Nebenstrecken gibt es mittlerweile deutlich kostengünstigere Bauverfahren. Martin Henke kündigte noch für das laufende Jahr neue Regelwerke und Standards an. Sie werden zusammen mit der DB ausgearbeitet und können die Elektrifizierung von Strecken vereinfachen, auf denen nicht schneller als 120 Stundenkilometer gefahren wird. Zudem arbeitet die Branche daran, die Elektrifizierung auch durch Kooperationen bei der Ausbildung von Oberleitungsmonteuren zu beschleunigen.