02.07.2018
Aus dem Verband

Verkehrsbranche spürt den Rückenwind

Auf der VDV-Jahrestagung in Potsdam war die Aufbruchsstimmung in der Verkehrsbranche förmlich zu greifen. Jährliche Rekorde bei den Fahrgastzahlen, klare politische Aussagen im Koalitionsvertrag, aufgestockte Mittel zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, neue digitale Services sowie die Debatte um Luftreinhaltung und Fahrverbote in den Städten geben den Themen des ÖPNV und des Schienengüterverkehrs Schub. Auf der Tagesordnung bleiben jedoch Finanzierungsfragen.


Selten waren in Deutschland die Zeiten günstiger für den Öffentlichen Verkehr, um die Zukunftsthemen anzupacken. Das wurde einmal mehr auf der VDV-Jahrestagung deutlich. „ÖPNV ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und muss ein gesellschaftspolitisches Thema sein“, sagte VDV-Präsident Jürgen Fenske. Angesichts der aktuellen Diskussionen um Luftreinhaltung und Fahrverbote sowie mit Blick auf die ersten Weichenstellungen der Bundesregierung sieht die Verkehrsbranche positiv in die Zukunft. „Der Stellenwert von ÖPNV und Schienengüterverkehr wird in den kommenden Jahren wachsen“, machte Jürgen Fenske deutlich. Dass die Verkehrswende mit einem Drittel mehr Bus- und Bahnverkehr sowie knapp einem Viertel mehr Güterverkehr auf der Schiene möglich ist, belegt eine Studie, die der VDV in Auftrag gegeben hat. Bis 2030 will die Branche im Öffentlichen Verkehr sowie auf der Schiene ihre Marktanteile kräftig ausbauen und durch verbesserte Angebote drei Milliarden Fahrgäste mehr gegenüber 2017 hinzugewinnen. Für ein vergleichbares Wachstum wurden zuletzt 26 Jahre benötigt. „Das alles ist möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen“, erklärte VDV-Präsident Fenske, der nicht mit Lob für die alte und neue Bundesregierung sparte, was die Finanzierung des Infrastrukturausbaus und des Öffentlichen Verkehrs anbelangt. „Der Bund hat viel geleistet. Aber es ist wichtig, das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz gängiger und schneller zu machen.“

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Welche Rolle ein leistungsfähiger ÖPNV für die Entwicklung seiner Stadt spielt, verdeutlichte Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs. Er rechnet im Jahr 2035 mit 220.000 Einwohnern – 45.000 mehr als heute und 100.000 mehr als zur Jahrtausendwende. Damit ist Potsdam Deutschlands wachstumsstärkste Landeshauptstadt. Bei der direkten City-Anbindung von Krampnitz – einem neuen Wohnort auf einem ehemaligen sowjetischen Kasernengelände im Norden – setzt die Stadt auf die Straßenbahn. Angesichts hoher Investitionen in Barrierefreiheit, Digitalisierung und Infrastruktur erteilte Jann Jacobs der bundesweiten Diskussion um ÖPNV zum Nulltarif eine Absage: „Für einen guten Nahverkehr sind die Menschen bereit, einen Beitrag zu leisten.“ Den beiden Geschäftsführern des Verkehrsbetriebs Potsdam (ViP), Martin Grießner und Oliver Glaser, dankte der OB dafür, dass Potsdam drei Tage zum Treffpunkt der Verkehrsbranche in Deutschland wurde.

Wir müssen weg vom Blick auf die einzelnen Verkehrsträger, hin zu Mobilitätsketten.

Kathrin Schneider, Landesministerin für Infrastruktur und Landesplanung

Aus der Bundes- und Landespolitik gab es reichlich Rückendeckung und weitere positive Signale für die Branche. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer – noch keine 100 Tage im Amt – erläuterte die verkehrspolitischen Weichenstellungen der Bundesregierung. Der Koalitionsvertrag habe dafür die politischen Leitlinien gesetzt, und die Investitionen lägen auf Rekordniveau. Das sorge für Planungssicherheit. Nach der Aufstockung der GVFG-Mittel auf jährlich eine Milliarde Euro bis zum Ende der Legislaturperiode wolle er sich für eine Verstetigung einsetzen. „Es ist eine Zeit des Aufbruchs für Ihre Branche“, sagte Andreas Scheuer. Gleichzeitig nahm er die Verkehrsunternehmen in die Pflicht: „Ich will nicht hören, dass Sie Schwierigkeiten haben, das Geld abfließen zu lassen.“ Der Minister hob besonders die Bedeutung des ÖPNV als „bärenstarken Teil für die Mobilität der Zukunft“ hervor. Sein Ziel sei es, das Konzept „Mobilität und saubere Luft“ zum Exportschlager zu machen. Und überhaupt, so Scheuer: „ÖPNV ist hip geworden.“

Viel Applaus hatte zuvor auch Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, für seine leidenschaftliche Rede bekommen. Er versprach, sich für eine Ausweitung des GVFG-Förderkatalogs einzusetzen: „Wir müssen Ersatzneubauten aufnehmen“, sagte er. Bislang werden im Rahmen des GVFG lediglich Neu- und Ausbauprojekte im Nahverkehr gefördert. Zudem hatte Ferlemann weitere gute Nachrichten für die Branche mitgebracht: So sollen Planungsverfahren beschleunigt werden. Ein entsprechendes Gesetz sei in Vorbereitung, im Sommer soll das Bundeskabinett darüber beschließen. Der Deutschland-Takt soll ebenfalls vorangebracht werden. Ein Plan, wie dieser umgesetzt werden könne, soll im Herbst vorgestellt werden. Für eine flächendeckende Digitalisierung der Schiene seien weitere Finanzmittel erforderlich.

Dass das Jahr 2030 auch im Klimaschutzplan der Bundesregierung für eine mittelfristig wichtige Zielmarke steht, rief Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, in Erinnerung. Bis dahin müssten die CO2-Emissionen um 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. In diesem Vergleichszeitraum müsse allein der Verkehrssektor 40 bis 42 Prozent einsparen. „Das ist ehrgeizig und eine Riesenherausforderung.“ Im Jahr 2030 werde das nationale Klimaschutzziel identisch mit dem europäischen sein. „Dann müssen wir liefern“, mahnte Flasbarth. Andernfalls drohten kostspielige Sanktionen aus Brüssel, die Haushalte zu belasten.

Die Geschäftsführer der Rhein-Neckar-Verkehr, Christian Volz und Martin in der Beek, erhielten als Gastgeber der VDV-Jahrestagung 2019 den Staffelstab von den ViP-Chefs Oliver Glaser und Martin Grießner sowie von VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff (von links nach rechts).

Auch das Land Brandenburg steht angesichts der Nähe zur Metropolregion Berlin und den Herausforderungen des ländlichen Raumes vor großen verkehrs­politischen Aufgaben. Die erläuterte Kathrin Schneider, Brandenburgs Ministerin für Infrastruktur und Landesplanung. Sie forderte alle Beteiligten auf, zu Mobilitätsdienstleistern zu werden. „Wir müssen weg vom Blick auf die einzelnen Verkehrsträger, hin zu Mobilitätsketten.“ Gefordert sei ein stärkeres Miteinander von Bund, Ländern, Kommunen, Verkehrsunternehmen und Wissenschaft. „Wir sind gerne Ihr Partner, um das Ziel – die Mobilität der Zukunft – zu erreichen.“

Bevor die Teilnehmer der Jahrestagung in drei parallelen Fachforen die Themen ÖPNV/„Mobility inside“, Fachkräftemangel und Klimafestigkeit des Eisenbahnnetzes diskutierten, richtete Peer Steinbrück in seiner gesellschaftspolitischen Rede den Blick über den Tellerrand des Verkehrswesens hinaus. Der ehemalige Bundesfinanzminister ging der Frage nach, wie sich die Gesellschaft in Deutschland in den vergangenen Jahren verändert hat. In seiner Analyse des Weltgeschehens gab Steinbrück zu bedenken, dass die großen globalen Aufgaben wie der Klimaschutz nicht nationalstaatlich zu lösen seien.

Weitere Informationen


zur ­Jahrestagung:
www.vdv.de/jahrestagung.aspx

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