Europa
04.03.2024

Langer Marsch zu neuen Schienenwegen

Der Aufbau Transeuropäischer Netze ist speziell im Bahnsektor fast schon eine Jahrhundertaufgabe. Drei deutsche TEN-Projekte von internationaler Bedeutung im Verlauf des Skandinavien-Mittelmeer-Korridors für den Güterverkehr machen die Probleme sichtbar.


Ausbaustrecke Karlsruhe – Basel:

Vor fast acht Jahren nahm die Schweiz den Gotthard-Basistunnel in Betrieb. Das engste Nadelöhr auf der Route von den Nordseehäfen durch die Alpen nach Norditalien und ans Mittelmeer war beseitigt. Doch nach einer Güterzugentgleisung im August 2023 ist der derzeit längste Bahntunnel der Welt wegen umfangreicher Reparaturarbeiten an der Streckeninfrastruktur noch für einige Monate nur eingeschränkt befahrbar. Seinen vollen Nutzwert wird er ohnehin vermutlich erst im übernächsten Jahrzehnt entfalten können. Der Grund: Sehr zum Ärger der Schweizer Nachbarn hat Deutschland seine in einem Staatsvertrag vereinbarten Verpflichtungen zum Ausbau der rund 200 Kilometer langen Gotthard-Zulaufstrecke von Karlsruhe nach Basel noch lange nicht erfüllt. Vorgesehen ist ein komplett viergleisiger Ausbau der heute zweigleisigen Strecke, mit entsprechenden Kapazitäten für den Güterverkehr und maximalen Geschwindigkeiten von Tempo 250 für den schnellen Personenverkehr.

Erst 60 Kilometer sind in Betrieb, vor allem im Norden und im südlichen Abschnitt. In etlichen Bereichen verharrt das Projekt noch im Planungs- und Genehmigungsverfahren. Internationale Schlagzeilen machte das Bauvorhaben im Jahr 2017, als im Raum Rastatt eine Tunneldecke einzustürzen drohte und sich ein Gleis der Bestandsstrecke absenkte. Für mehrere Wochen war die Verkehrsader völlig gesperrt. Zuvor hatte die geplante Trasse im Raum Offenburg bei Anwohnern und Umweltschützern massive Proteste ausgelöst, die letztlich zu einer die Bauzeit verlängernden Tunnellösung führten.
Nach Angaben einer Bahnsprecherin sind derzeit etwa 20 Prozent des Projektes in der Realisierungsphase: der Streckenabschnitt Karlsruhe – Rastatt Süd einschließlich des Rastätter Tunnels sowie zwei Abschnitte im Südbadischen zwischen Müllheim und Weil am Rhein. Bis 2035 will der Bauherr DB die durchgehende Viergleisigkeit zwischen Karlsruhe und Basel herstellen und bis 2041 den vollständigen Ausbau für Hochgeschwindigkeit. Seit der Eröffnung des Gotthardtunnels wären dann fast 25 Jahre vergangen.

Anschluss an den Fehmarnbelt-Tunnel:

Seit den 1960er-Jahren war Puttgarden auf der Ostseeinsel Fehmarn der deutsche Fährbahnhof der „Vogelfluglinie“, der kürzesten Schiffsverbindung hinüber nach Dänemark auf die Insel Lolland. Bis vor wenigen Jahren beförderten die Fähren auch internationale Züge, doch jetzt sind sie via Flensburg und die Brücke über den Großen Belt auf einem 160 Kilometer längeren Weg. Unterdessen wächst vom dänischen Hafen Rödby aus der künftige Tunnel mit Autobahn und Bahnstrecke südwärts durch das flache Wasser des Fehmarnbelt – ein „Absenktunnel“ aus an Land vorgefertigten Segmenten. Auf dänischer Seite ist die Schnellbahnstrecke von Kopenhagen aus weitgehend fertiggestellt. In Deutschland geht es jetzt allmählich los. Nachdem in mühevollen politischen und rechtlichen Auseinandersetzungen und trotz vielfacher Bürgerablehnung das Baurecht durchgesetzt wurde, starteten Ende letzten Jahres die Arbeiten zunächst auf Fehmarn. Die Fertigstellung des Gesamtprojektes wird für das Ende des Jahrzehnts anvisiert.

Auf rund 88 Kilometern entsteht zwischen Puttgarden und Lübeck eine Neu- und Ausbaustrecke, im Gegensatz zur heutigen Verbindung durchgehend zweigleisig und elektrifiziert. Zudem wird die heute in Heiligenhafen endende Autobahn A 1 parallel zu den Schienen bis zum 20 Kilometer langen Fehmarnbelttunnel durchgebaut. Besonders aufwändig ist die Überwindung der Meerenge zwischen Ostholstein und der Insel Fehmarn. Die für die Vogelfluglinie gebaute elegante Brückenkonstruktion, im Volksmund „Kleiderbügel“ genannt, reicht nach Erkenntnissen der Ingenieure nicht für das erwartete Verkehrsaufkommen aus. Künftig wird die Ostsee auch hier auf der Schiene wie auf der Straße in einem Absenktunnel durchfahren. Die weithin sichtbare Brücke, die unter Denkmalschutz steht, bleibt erhalten: Das Gleis auf ihr wird zurückgebaut, die Fahrbahn soll Fußgängern, Radfahrern und dem lokalen Verkehr vorbehalten bleiben.

Auf deutscher Seite hebt ein Bagger den Tunnelgraben für die neue Fehmarnbeltquerung aus.

Auf dem holsteinischen Festland verlässt die geplante Trasse in mehreren Abschnitten auf 55 Kilometern den bisherigen, im Nordabschnitt inzwischen stillgelegten Schienenweg über Neustadt/Holstein und die Seebäder an der Lübecker Bucht; sie folgt weithin parallel der Autobahn mit mehreren Verknüpfungen mit der Altstrecke. Nachdem das deutsch-dänische Gemeinschaftsprojekt 2008 in einem Staatsvertrag besiegelt worden war, folgten langwierige kontroverse Planungsverfahren mit über 15.000 Einwendungen und Stellungnahmen, in denen der Lärmschutz vor dem erwarteten steigenden Schienenverkehr einerseits und das Interesse insbesondere der Badeorte am Verbleiben ihres Bahnanschlusses andererseits die Kontrapunkte setzten. Für die am Ende ausgehandelten und politisch abgesegneten Kompromisse gab in letzter Instanz im Jahr 2020 das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig grünes Licht: Es hatte zuvor die sechs verbliebenen Klagen von Projektgegnern abgewiesen. Vor Ort bestehen noch Initiativen, den SPNV auf der „Bäderbahn“ zu erhalten.

Aus Bayern zum Brenner-Basistunnel:

In der Computeranimation fahren die Züge schon. Aus einer virtuellen Vogelperspektive ist ein Güterzug auf dem Weg aus dem Großraum München bis zur deutschen Grenze nach Kiefersfelden bei seiner zügigen Fahrt südwärts zu beobachten – auf einer großzügig geschwungenen Neubaustrecke, abseits der Orte, immer wieder im Tunnel verschwindend. Ob es so kommt, ist aber noch fraglich. Die Trasse des deutschen Nordzulaufs zum künftig längsten Eisenbahntunnel der Welt zwischen Österreich und Italien ist seit Jahren heftig umstritten. Und schon heute ist klar: Nicht anders als bei der Achse zum Gotthard wird der deutsche Beitrag zu einem leistungsfähigen Schienenweg zum und vom Brenner etliche Jahre verspätet zur Verfügung stehen.

Immerhin ist das Projekt Ende vergangenen Jahres in eine konkrete Phase getreten. Die Deutsche Bahn, vom Bundesverkehrsministerium mit der Planung des Vorhabens beauftragt, hat aus den verschiedenen Möglichkeiten der Streckenführung eine „Vorzugstrasse“ entwickelt, die der DB als optimale Variante gilt: eine 54 Kilometer lange neue zweigleisige Linie von Grafing südlich von München bis Kiefersfelden vor Kufstein für den schnellen Personenverkehr und internationale Güterzüge, die Rosenheim als größten Ort an der Strecke nördlich und östlich umfährt, weitgehend unterirdisch. Insgesamt sollen 60 Prozent im Tunnel verlaufen.
Ob die geplante Fertigstellung bis 2038 realistisch ist, hängt vom weiteren Prozedere ab. Zwar sind nach Angaben eines Sprechers bereits rund 100 Vorschläge von Anwohnern und Gemeinden in die Trassenplanung einbezogen, doch das Verfahren sieht nun im nächsten Schritt vor, dass Bürger, Kommunen und Kreise „Kernforderungen“ hinsichtlich ihrer Vorstellungen formulieren. Diese werden dann vom Planungsteam der DB bewertet und mit den Beurteilungen als Paket an das Eisenbahn-Bundesamt weiter gereicht. Nach einer Bearbeitung bei der Aufsichtsbehörde werden die Unterlagen voraussichtlich 2025 zur politischen Diskussion an den Deutschen Bundestag übergeben. Dort muss dann letztlich die Entscheidung fallen, wann, wie und wo gebaut wird.

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